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Xenozid

Xenozid

Titel: Xenozid
Autoren: Card Orson Scott
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verfolgte sie mit den Blicken.
    Es kam keine Antwort, die sie freigab, kein Gefühl, richtig gehandelt zu haben; doch das bereitete ihr keine Probleme, denn sie wußte, daß es zu der Prüfung gehörte. Welchen Sinn hätte es, ihre Hingabe zu überprüfen, wenn die Götter ihr augenblicklich antworten würde, wie sie es immer zu tun pflegten? Während sie ihre Reinigung zuvor unter der ständigen Anleitung der Götter vollzogen hatte, mußte sie sich nun selbst reinigen. Und wie würde sie wissen, ob sie es richtig gemacht hatte? Indem sich die Götter wieder bei ihr melden würden.
    Die Götter würden wieder mit ihr sprechen. Oder vielleicht würden sie sie zum Palast der Königlichen Mutter bringen, wo die edle Han Jiang-qing sie erwartete. Dort würde sie auch Li Qing-jao begegnen, ihrer Vorfahrin-des-Herzens. Dort würden all ihre Vorfahren sie begrüßen, und sie würden sagen: Die Götter haben sich entschlossen, alle Gottberührten von Weg in Versuchung zu führen. Nur wenige haben diese Prüfung bestanden, doch du, Qing-jao, du hast uns allen große Ehre bereitet. Denn deine Treue hat nie gewankt. Du hast deine Reinigungen vollzogen wie kein anderer Sohn, keine andere Tochter je zuvor. Die Vorfahren anderer Männer und Frauen sind neidisch auf uns. Deinetwegen begünstigen uns die Götter nun vor allen anderen.
    »Was tust du?« fragte Vater. »Warum verfolgst du mit den Blicken die Holzlinien?«
    Sie antwortete nicht. Sie ließ sich nicht ablenken.
    »Dieses Bedürfnis ist von uns genommen worden. Ich weiß es – ich verspüre keinen Drang, mich zu reinigen.«
    Ach, Vater! Könntest du doch nur verstehen! Doch selbst, obwohl du bei diesem Test versagen wirst, ich werde ihn bestehen – und so werde ich selbst dir Ehre bereiten, der du allen ehrbaren Dingen entsagt hast.
    »Qing-jao«, sagte er. »Ich weiß, was du tust. Wie jene Eltern, die ihre mittelmäßigen Kinder zwingen, sich unentwegt zu waschen. Du rufst die Götter.«
    Nenne es, du du willst, Vater. Deine Worte bedeuten mir jetzt nichts. Ich werde nicht mehr auf dich hören, bis wir beide tot sind und du zu mir sagst: Meine Tochter, du warst besser und klüger als ich; all meine Ehre hier im Haus der Königlichen Mutter kommt von deiner Reinheit und selbstlosen Hingabe im Dienst der Götter. Du bist wahrhaftig eine edle Tochter. Du bist meine einzige Freude.
     
    Die Welt Weg vollzog ihre Umwandlung friedlich. Hier und da kam es zu einem Mord; hier und da wurde einer der Gottberührten, der sich wie ein Tyrann benommen hatte, von einem Mob ergriffen und aus seinem Haus geworfen. Doch im großen und ganzen glaubte man die Geschichte, die das Dokument erzählte, und die ehemaligen Gottberührten wurden wegen des rechtschaffenen Opfers, das sie während der Jahre geleistet hatten, in denen die Riten der Reinigung auf ihren Schultern lag, mit großer Ehre behandelt.
    Doch die alte Ordnung verging schnell. Die Schulen wurden für alle Kinder geöffnet. Die Lehrer konnten bald berichten, daß die Schüler beachtliche Leistungen erbrachten; das dümmste Kind übertraf nun in jedem Fach den Durchschnitt vergangener Zeiten. Und obwohl der Kongreß wütend jede genetische Manipulation abstritt, richteten die Wissenschaftler auf Weg ihre Aufmerksamkeit endlich auf die Gene ihres eigenes Volkes. Vergleiche der Aufzeichnungen über ihre alten Genmoleküle mit den heutigen bestätigten den Männer und Frauen von Weg den Inhalt des Dokuments.
    Was dann geschah, als die Hundert Welten und alle Kolonien von den Verbrechen des Kongresses gegen Weg erfuhren – Qing-jao bekam nichts davon mit. Das alles war eine Angelegenheit der Welt, die sie hinter sich gelassen hatte. Denn sie verbrachte ihre gesamten Tage nun im Dienst der Götter und reinigte und säuberte sich.
    Es wurde bekannt, daß Han Fei-tzus verrückte Tochter als einzige der Gottberührten auf ihren Ritualen beharrte. Zuerst wurde sie dafür belächelt – denn viele der Gottberührten hatten aus Neugier versucht, ihre Reinigungen erneut zu vollziehen, und dabei festgestellt, daß die Rituale nun leer und bedeutungslos waren. Doch Qing-jao vernahm nur wenig von dem Spott und kümmerte sich auch nicht darum. Ihre Gedanken galten einzig der Hingabe an die Götter – was kümmerte es sie, wenn die Menschen, die die Prüfung nicht bestanden hatten, sie für ihr Bemühen?
    Doch als die Jahre ins Land gingen, erinnerten sich viele, daß die alten Tage eine schöne Zeit gewesen waren. Die Götter hatten
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