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Xeelee 1: Das Floss

Xeelee 1: Das Floss

Titel: Xeelee 1: Das Floss
Autoren: Stephen Baxter
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nahe am Schwerpunkt des Schiffes und waren, wie Rees feststellte, noch relativ glimpflich davongekommen.
    Blutrote Ozeane zogen vor den Fenstern vorbei.
    »Wir müssen gleich den Wendepunkt erreicht haben«, rief Rees. »Wenn wir noch die nächsten fünf Minuten durchhalten und das Schiff im Schwerkraft-Gezeitenstrudel nicht auseinanderbricht…«
    Nead hatte die Arme um das Rohr des Teleskops geschlungen und starrte auf den Ozean des Kerns. »Ich glaube, daß wir mehr als das überstehen müssen«, unkte er.
    »Was?«
    »Sieh doch!« Nead deutete hinaus – und er verlor seinen Halt und trieb vom Teleskop ab. Er rutschte auf der glatten Oberfläche des Instruments herum und versuchte, sich erneut festzuklammern. Dann verlor er völlig den Halt. Mit weiter auf das Fenster gerichteten Augen stürzte er dreißig Meter tief in die wimmelnde Menschenmenge, die in das eine Ende der zylindrischen Kammer geknäult war.
    Er traf mit einem krachenden Geräusch und einem vielstimmigen Schmerzensschrei auf. Rees schloß die Augen.
    »Rees. Sieh dir an, was er uns sagen wollte«, schrie Hollerbach alarmiert.
    Rees drehte sich um.
    Das Meer aus Blut wogte immer noch, aber jetzt machte Rees einen einzelnen ›Whirlpool‹ aus, der sich als kleiner Knoten unter der Brücke manifestierte. In diesem Mahlstrom bewegten sich zielstrebig große Schatten. Und – der ›Whirlpool‹ bewegte sich synchron mit dem stürzenden Schiff, verfolgte seinen Kurs…
    Dann zerplatzte er wie eine Blase, und eine hundert Meter durchmessende Scheibe stieg aus dem Ozean. Seine tiefschwarze Oberfläche zuckte, und mit verblüffender Geschwindigkeit bildeten sich große, pulsierende Extremitäten aus, als ob eine Gummidecke von unten mit Fäusten bearbeitet würde. Lange Sekunden hing die Scheibe in der Luft; dann fiel sie mit sich verlangsamender Rotation in den kochenden Ozean zurück.
    Fast sofort nahm der ›Whirlpool‹ seine Aktivitäten wieder auf.
    Das Gesicht des alten Wissenschaftlers war grau. »Das ist die zweite derartige Eruption. Offensichtlich ist nicht jede Lebensform hier so zivilisiert wie wir.«
    »Es lebt? Aber was will es?«
    »Verdammt, Junge, darauf mußt du von selbst kommen!«
    Rees versuchte, sich in diesem Höllenlärm zu konzentrieren. »Wie nimmt es uns wahr? Verglichen mit Gravitationswesen sind wir wie Quallen, fast ohne Substanz. Warum sollte es sich überhaupt für uns interessieren…?«
    »Die Versorgungsmaschinen!« rief Jaen.
    »Was?«
    »Sie beziehen ihre Energie aus miniaturisierten Schwarzen Löchern… Gravitationssubstanz. Vielleicht reagieren die Gravitationswesen ausschließlich darauf, so als wären wir ein Geisterschiff auf einer Kreisbahn um Brocken von…«
    »Nahrung«, beendete Hollerbach erschöpft.
    Erneut brach die Kreatur aus ihrem Ozean und wirbelte die Wale wie Streichhölzer durcheinander. Diesmal kam eine Extremität, ein Kabel mit Rees’ Hüftumfang, dem Schiff so nahe, daß es in seinem Flug erzitterte. Rees konnte Einzelheiten auf der Oberfläche des Wesens erkennen; es wirkte wie eine tiefschwarze Skulptur. Winzige Formen – eigenständige Entitäten, vielleicht Parasiten? – rasten so schnell über die pulsierende Oberfläche, daß das Auge kaum zu folgen vermochte; sie kollidierten, verschmolzen miteinander und lösten sich wieder voneinander.
    Erneut stürzte die Scheibe zurück und tauchte, wie in Zeitlupe, mit einem formvollendeten Platscher in ihren Ozean mit seinen vielen Lebensformen ein. Und wieder machte sich der ›Whirlpool‹ bereit.
    »Hunger«, erklärte Hollerbach. »Der universale Imperativ. Das verdammte Ding wird es so lange versuchen, bis es uns am Stück geschluckt hat. Und wir können nichts dagegen tun.« Er schloß seine wäßrigen Augen.
    »Noch sind wir nicht tot«, murmelte Rees. »Wenn Baby gefüttert werden will, füttern wir es eben.« Er wurde von einer wütenden Entschlossenheit gepackt. Er war nicht so weit geflogen, hatte nicht so viel geleistet, nur um alles von einem namenlosen Monster auslöschen zu lassen… selbst wenn jedes einzelne seiner Atome aus einem Schwarzen Loch bestehen sollte.
    Er ließ den Blick durch die Kammer schweifen. Weil die Netzkonstruktion aus Seilen zerrissen war, befanden sich keine Menschen mehr im Innern der Kammer; doch einige Seile hingen noch dort an den Wänden und Decken, wo sie ursprünglich angebracht worden waren. Ein solches führte vom Teleskopsockel direkt zum Ausgang auf die Brückengalerie. Rees folgte seinem
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