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Maedchenauge

Maedchenauge

Titel: Maedchenauge
Autoren: Christian David
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Samstag, 12. Juni
1
    Das Wissen, zweimal ungestört gemordet zu haben, bestärkte ihn in seinem Glauben, ein Auserwählter zu sein. Zuversicht, Selbstvertrauen und Hass erfüllten ihn.
    Mitten im dicht verbauten Häusermeer von Wien lebte ein Mensch, der ganz anders empfand als seine Nachbarn.
    Aufrecht stand er an diesem Abend in seinem hell erleuchteten Schlafzimmer. Durch die herabgelassenen Rollbalken waren die Fenster nach außen abgedichtet. Vor einem großen Spiegel posierend und komplett in Schwarz gekleidet, unterzog er sein Kostüm einer letzten Kontrolle. Der von der hohen Decke hängende Luster spendete reichlich Licht. Und damit seiner Aufmerksamkeit wirklich nichts entging, war der scharfe Strahl einer Stehlampe zusätzlich auf ihn gerichtet.
    Es ist gerecht, jene zur Verantwortung zu ziehen, die gesündigt haben.
    Er war sich selbst der beste Freund. Bei sich musste er das Spiel der Masken und der permanenten Verstellung nicht mitmachen, dem er sonst unterworfen war.
    Zur Gerechtigkeit gehört die Strafe. Durch sie wird die verletzte Ordnung wieder geheilt.
    Was er sah, gefiel ihm. Jacke, Hose und Stiefel waren aus schwarzem, matt glänzendem Leder gefertigt, das seiner Erscheinung die angemessene Härte verlieh.
    Ich fälle das gerechte Urteil und vollstrecke es.
    Er stülpte den schwarzen Helm über seinen Kopf und schob das getönte Visier nach unten.
    Die Verführung durch die Schlange bewirkte die erste Sünde. Ihretwegen mussten Adam und Eva den Garten Eden verlassen.
    Aus dem Futteral zog er liebevoll das stählern schimmernde Militärmesser und strich mit der Fingerkuppe vorsichtig über dessen Klinge.
    Zum Schlechten zu verführen ist schlimmer als lediglich Böses zu tun. Verführung ist die Methode des gefallenen Engels. Man muss sie bekämpfen und auslöschen.
    Die Waffe war gewählt, die Mission stand fest. In dieser Welt oblag es ihm, Richter und Vollstrecker zu sein. Davon war er überzeugt.
    Er verstaute das Messer im Futteral, steckte es zusammen mit dem Klebeband in eine Jackentasche und löschte die Lichter. Mit dem Gefühl aufkeimender Vorfreude stürmte er die geschwungene Treppe hinab.
    Als er ins Freie trat, umfing ihn die paradiesische Wärme des Sommerabends. Er atmete tief ein und fühlte, wie die Erregung in ihm wuchs. In Gedanken flog er seinem Ziel entgegen. Er konnte es kaum noch erwarten.
    *
    Wild und unberechenbar strömte die Donau einst durch Wien. Bis man sie zähmte und in ein auf dem Reißbrett gezogenes Flussbett zwängte.
    Als schämte man sich für diesen Akt der Domestizierung, verbannte man den Fluss in den Norden von Wien. Breit und belanglos ließ man die Donau dort vor sich hin fließen. Weder prunkvolle Uferpromenaden noch spektakuläre Brücken waren ihr vergönnt, bloß Zweckarchitektur wurde geduldet. Doch schien man einen letzten Rest der alten Herrlichkeit bewahren zu wollen und schuf den Donaukanal, der beinahe mitten durch Wien verlaufen durfte. Nie wurde er, wie die Seine in Paris oder die Moldau in Prag, elementarer Bestandteil der urbanen Landschaft. Der Donaukanal verkam zur bloßen Schneise, zum langweiligen Störenfried, den man zur Strafe dafür, dass er an üppigere Zeiten gemahnte, zwischen graue Betonwände pferchte. Zusätzlich eskortierte man den Fluss mit mehrspurigen Durchzugsstraßen, um trotzige Flanierversuche abzuwürgen.
    Erst spätere Generationen entdeckten den Freiraum, den der Kanal bot. Anfangs rückten sie mit ihren Skateboards an, später, inzwischen älter geworden, mit Hunden oder Kindern. Die Gastronomen folgten, eröffneten Lokale und inszenierten im Sommer eine mediterrane Strandatmosphäre an beiden Ufern. Die Gegend gewann eine Verspieltheit zurück, die man ihr einst mit allen Mitteln hatte austreiben wollen.
    In diesem Jahr, das bald im Zeichen der Frauenmorde stehen sollte, hatten die Wiener eine nicht enden wollende Periode heftiger Unwetter und eisiger Temperaturen durchleiden müssen. Erst vor vier Wochen war die Hitze über die Stadt gekommen, seitdem konnte wieder unter freiem Himmel gegessen, getrunken und geflirtet werden. Was nun auch eifrig getan wurde, so als gelte es, die verlorene Zeit aufzuholen.
    Unmittelbar am Kanal, nahe der alten Urania-Sternwarte, war eine großzügig dimensionierte Bar errichtet worden. Es gab eigens importierten Meeressand, auf dem elegante Liegestühle und italienische Sonnenschirme gruppiert waren. Jung, schön und zahlungskräftig sollten die Gäste sein, die sich hier
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