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Würfelwelt (German Edition)

Würfelwelt (German Edition)

Titel: Würfelwelt (German Edition)
Autoren: Karl Olsberg
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sie sieht, dass ich die Augen aufschlage, umarmt meine Mutter mich lange. Sie weint auf meiner Brust, genau wie Amelie.
    Ich berühre sanft ihre Schulter. Mein Arm fühlt sich deutlich leichter an. „Amelie ...“, sage ich.
    Meine Mutter löst sich von mir. „Es geht ihr gut“, sagt sie. „Sie schläft jetzt. Sie hat zwei Tage ununterbrochen an deinem Bett gesessen.“
    Ich schüttele den Kopf. Das habe ich nicht gemeint. „Amelie ... Stiefvater ...“
    Der Gesichtsausdruck meiner Mutter verändert sich. Plötzlich liegt Zorn in ihren Augen, wie ich ihn dort noch nie gesehen habe. Er erinnert mich ein wenig an das kalte Leuchten von Endermanaugen.
    „Keine Sorge, sie haben das Schwein verhaftet“, sagt sie. Plötzlich fließen wieder Tränen über ihre Wangen. „Beinahe hätte er dich umgebracht! Und ich ... ich habe ihm vertraut ...“
    „Die Polizei möchte dir einige Fragen stellen“, sagt mein Vater. „Sie haben uns gebeten, sie zu informieren, sobald du eine Aussage machen kannst.“
    Meine Mutter wirft ihm einen finsteren Blick zu. „Der Junge braucht jetzt erst mal Ruhe!“
    „Nein“, sage ich. Meine Kehle ist immer noch trocken, aber die Koordination zwischen Stimmbändern, Zunge und Lippen funktioniert wieder einigermaßen. „Ich möchte aussagen!“
    „Bist du sicher?“, fragt mein Vater. „Wenn du willst, frage ich Dr. Steinbrück ...“
    Meine Mutter funkelt ihn wütend an. „Bleib mir bloß mit diesem Rechtsverdreher vom Hals!“
    Ich glaube, Dr. Steinbrück ist der Anwalt, der ihn bei der Scheidung vertreten hat.
    Er zuckt sichtlich zusammen. „Entschuldige, ich ... ich wollte bloß ...“
    Alles wie gehabt – Zank und Streit, wohin man blickt. Da unterscheidet sich die Realität kaum von der Würfelwelt.
    „Ich brauche keinen Anwalt“, sage ich, um die Auseinandersetzung zu beenden. „Ich mache ja nur eine Aussage!“
    Eine Stunde später sitzt ein waschechter Kriminalhauptkommissar neben meinem Bett, begleitet von einer Polizeipsychologin. Sie stellen mir eine Menge Fragen. Ich erzähle ihnen, dass ich mich zwar nicht bewegen konnte, aber alles um mich herum mitbekommen habe. Dass Amelies Stiefvater zweimal allein hier war. Dass er mir beim zweiten Mal eine Spritze in den linken Arm gegeben hat. Ich kann ihnen sogar die Stelle zeigen.
    Die Beschreibung meiner Erlebnisse in der Würfelwelt spare ich mir. Die Polizei wird kaum Ermittlungen gegen allerlei Untote, Creeper, Endermen und einen Wither aufnehmen, auch wenn diese die Tatbestände Nötigung, Freiheitsberaubung, Körperverletzung und versuchten Mord zweifelsohne erfüllt haben.
    Interessant wird es, als sie mich fragen, wie das Kabel aus dem Kardiomonitor gezogen wurde. Der Einfachheit halber sage ich ihnen, dass ich mich daran nicht erinnere. Sie geben sich damit zufrieden und sind so nett, auch einige meiner Fragen zu beantworten.
    Mein Leben habe ich der Geistesgegenwart einer Krankenschwester zu verdanken, die sofort das Gefühl hatte, dass etwas nicht stimmt, als sie das herausgezogene Kabel entdeckte. Sie hat ein Notfall-Team alarmiert, dem es nur mit Mühe gelang, meinen Kreislauf zu stabilisieren. Als die Ärzte mein Blut untersuchten, haben sie eine hohe Dosis eines Schlafmittels entdeckt und sofort die Polizei informiert. Die Krankenschwester hat ihnen von dem nächtlichen Besuch von Amelies Stiefvater berichtet, der ihr seltsam vorkam. Als sie ihn befragten und Amelie erfuhr, dass ich im Krankenhaus lag, hat sie den Polizisten alles erzählt. Danach ist sie hergekommen und seitdem nicht mehr von meiner Seite gewichen.
    Amelies Mutter wurde mit einem Nervenzusammenbruch in eine Klinik eingeliefert. Angeblich wusste sie nichts davon, was ihr Mann mit ihrer Tochter angestellt hat. Er muss wegen Kindesmissbrauch in besonders schweren Fällen und versuchten Mordes mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe rechnen, haben sie gesagt.
    Als die Polizisten schließlich gehen, kommt meine Mutter, die draußen gewartet hat, wieder ins Zimmer – mit Amelie.
    Zum ersten Mal sehe ich sie lächeln. Es ist, als würde der ganze Raum heller.
    Sie nähert sich mir vorsichtig, als hätte sie Angst, dass eine schnelle Bewegung mich wieder ins Koma versetzen könnte. „Wie ... wie geht es dir?“
    Ich lächele ebenfalls. „Mir ging es noch nie besser.“ Das ist nicht mal übertrieben.
    Sie setzt sich auf die Bettkante. „Danke!“, sagt sie. Tränen füllen ihre Augen, aber sie lächelt immer noch.
    Ich setze mich auf, nehme sie
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