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Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Titel: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
Autoren: Haruki Murakami
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lokaler, kleiner und gemütlicher Triathlon. Die Einwohner der Stadt feuern die Sportler mit Wärme an. Es ist nichts Übertriebenes, Extravagantes daran, und diese milde Atmosphäre gefällt mir. Abgesehen vom Triathlon gibt es in der Gegend mehrere wunderbare heiße Quellen, die Küche ist ausgezeichnet und der einheimische Sake (besonders Shimehari Tsuru) ebenfalls hervorragend. Bei jedem Triathlon habe ich dort Bekanntschaften geschlossen. Aber einige Leute kommen sogar eigens aus Tokyo, um mich anzufeuern.
    Um 9.56 Uhr ertönt das Startsignal. Alle schwimmen sofort los. Es ist der aufregendste Moment.
    Kopfüber springe ich ins Wasser und stoße mich mit Armen und Beinen vorwärts. Ich verbanne alle überflüssigen Gedanken aus meinem Gehirn und konzentriere mich aufs Ausatmen statt auf das Einatmen. Mein Herz hämmert. Wieder finde ich zu keinem Rhythmus. Mein Körper verspannt sich. Wie üblich tritt mir jemand gegen die Schulter. Dann stützt sich einer von hinten auf meinen Rücken, wie eine Schildkröte die andere besteigt. Ich schlucke Wasser, aber keine große Menge. Reg dich nicht auf, ermahne ich mich. Keine Panik. Ich atme regelmäßig – aus, ein, aus, ein. Das ist im Augenblick das Wichtigste. Ich merke, wie dabei allmählich die Spannung nachlässt. Jetzt scheint es zu klappen. Ich brauche nur noch so weiterzuschwimmen. Wenn ich einmal den richtigen Rhythmus gefunden habe, muss ich ihn nur noch einhalten.
    Aber bald – offenbar unvermeidlich bei einem Triathlon – erwartet mich eine neue unvorhergesehene Schwierigkeit. Ich strecke den Kopf aus dem Wasser, um mich zu orientieren. »Huch?« Ich kann nichts sehen. Meine Schwimmbrille scheint völlig beschlagen zu sein. Die Welt ist wie hinter einem weißen Nebel verschwunden. Ich höre auf zu schwimmen, paddle im Wasser herum und reibe die Brille mit den Fingern. Sie wird nicht klar. Was ist nur los? Ich benutze diese Brille seit ewigen Zeiten, damit ich weiß, wohin ich schwimme. Plötzlich fällt es mir ein. Nachdem ich mich mit Vaseline eingerieben habe, habe ich mir nicht die Hände gewaschen, sondern mit meinen fettigen Fingern die Brille abgerieben. Wie kann man nur so blöd sein? Vor dem Start reibe ich meine Schwimmbrille immer mit Speichel ein, damit sie nicht beschlägt. Sogar das habe ich vergessen.
    Die ganze Strecke von 1500 Metern behinderte mich die verschmierte Schwimmbrille. Ich schwamm ständig in die falsche Richtung, wodurch ich natürlich viel Zeit verlor. Hin und wieder musste ich Halt machen, die Brille abnehmen und mich vergewissern, dass ich noch auf dem richtigen Weg war. Man stelle sich ein Kind mit verbundenen Augen beim Topfschlagen vor, und man kommt der Sache ziemlich nahe.
    Im Nachhinein fiel mir ein, dass ich die Brille natürlich auch hätte abnehmen und ohne schwimmen können. Aber ich war so beschäftigt, dass ich nicht auf die Idee kam. Daher war der Schwimmteil ziemlich hektisch, und meine Zeit fiel schlechter aus als erwartet. Von meiner Kondition her – ich hatte ja ernsthaft trainiert – hätte ich eigentlich schneller schwimmen können. Immerhin war ich nicht disqualifiziert worden, kam nicht weit abgeschlagen an und schaffte es bis zum Ziel. Und zumindest wenn ich geradeaus schwamm, hatte es ganz ordentlich geklappt.
    Vom Strand machte ich mich sofort auf den Weg zu den Fahrrädern (was schwieriger ist, als es sich anhört), zerrte mir den Schwimmanzug vom Leib, schlüpfte in meine Fahrradschuhe, setzte Helm und Sportsonnenbrille auf, trank hastig etwas Wasser und fuhr los. Alle diese Bewegungen vollzog ich automatisch. Erst mit Verzögerung merkte ich, dass ich, obwohl ich vor wenigen Augenblicken noch im Wasser herumgeplanscht hatte, nun in die Pedale trat und mit 30 Stundenkilometern durch die Gegend raste. Auch wenn ich das schon öfter erlebt habe, ist das jedes Mal wieder ein sonderbares Gefühl. Die Schwerkraft, die Geschwindigkeit, die Reaktionen, alles unterscheidet sich, auch die Muskeln, die man beansprucht, sind andere. Man fühlt sich wie ein Salamander, der plötzlich zum Strauß geworden ist. Weder mein Gehirn noch mein Körper schaffen es, so schnell umzuschalten. Ich konnte die Geschwindigkeit nicht halten, und im Nu waren sieben oder acht andere Räder an mir vorbeigesaust. »Jetzt wird’s gefährlich«, dachte ich, aber bis zum Wendepunkt konnte ich niemanden überholen.
    Die Radstrecke führt an dem bekannten Küstenabschnitt Sasegawa-Nagare entlang. Überall ragen zerklüftete Felsen
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