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Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Titel: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
Autoren: Haruki Murakami
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Schwierigkeiten, im Wettkampf beim Kraulen zu atmen, rührten daher, dass ich hyperventilierte. Als mir das Gleiche auch im Becken passierte, dämmerte es mir. Ich atmete vor dem Wettkampf zu schnell und zu tief ein, wahrscheinlich vor Aufregung. So bekam ich zu plötzlich zu viel Sauerstoff ins Blut. Was dazu führte, dass ich zu schnell atmete, wenn ich anfing zu schwimmen, was wiederum die Rhythmusschwierigkeiten beim Atmen hervorrief.
    Es war eine ungeheuere Erleichterung, endlich das wahre Problem zu kennen. Ich musste nur vermeiden zu hyperventilieren, dann war alles gut. Also machte ich es mir zur Gewohnheit, schon vor dem Wettkampf ein Stück im Meer zu schwimmen, um Geist und Körper daran zu gewöhnen. Ich atme regelmäßig, um dem Hyperventilieren entgegenzuwirken, und lege mir dabei die Hand über den Mund, um eine übermäßige Sauerstoffzufuhr zu verhindern. »Jetzt ist alles klar. Ich habe meinen Schwimmstil geändert, es ist ganz anders als früher«, sagte ich mir.
    Zum ersten Mal seit vier Jahren nahm ich 2004 wieder am Triathlon von Murakami teil. Der letzte Moment vor dem Wettkampf. Ein Signal ertönte, alle schwammen los, und jemand trat mich in die Seite. Ich erschrak. Mich packte die Angst, ich könnte es wieder nicht schaffen. Ich schluckte ein bisschen Wasser. Sollte ich lieber Brustschwimmen? Aber ich fing mich wieder und sagte mir, das sei nicht nötig, alles würde gut werden. Ich holte Luft und begann wieder zu kraulen. Statt auf das Einatmen konzentrierte ich mich darauf, unter Wasser auszuatmen. Das vertraute Blubbern drang an mein Ohr. So war es gut. Ich spürte, wie mein Körper geschickt die Wellen teilte.
    Auf diese Weise überwand ich meine Panik beim Schwimmen und konnte den Triathlon vollenden. Ich hatte lange ausgesetzt und nicht auf dem Rad trainiert, daher war meine Leistung nicht gerade großartig. Aber ich hatte mein wichtigstes Ziel erreicht und die Schande der Disqualifizierung getilgt. Ich empfand echte Erleichterung.
    Ich hatte mich immer für eine besonders robuste Natur gehalten, doch die Sache mit dem Hyperventilieren brachte eine unerwartet sensible Seite an mir zum Vorschein. Mir war nie bewusst gewesen, wie aufgeregt ich vor dem Start war, wie bis zum Äußersten angespannt. Wie alle anderen auch. Mein Leben lang, und wenn ich noch so alt werde, werde ich immer etwas Neues an mir entdecken. Ganz gleich, wie lange ein Mensch sich nackt im Spiegel betrachtet, in sein Inneres erhält er keinen Einblick.
    1. Oktober 2006. An diesem klaren frühherbstlichen Sonntagmorgen um 9 Uhr stehe ich nun wieder am Strand von Murakami in Niigata und warte auf den Start des Triathlon. Ich bin ein bisschen nervös, aber ich achte darauf, nicht zu hyperventilieren. Zur Sicherheit gehe ich noch einmal alle wichtigen Punkte durch: Knöchelband mit Computerchip. Mit Vaseline eingerieben, damit ich den Anzug nach dem Rennen rascher ausziehen kann. Dehnübungen gemacht. Ausreichend Wasser getrunken. Auf der Toilette gewesen. Ich habe nichts vergessen. Wahrscheinlich.
    Da ich schon mehrmals bei diesem Triathlon dabei war, kenne ich einige der Teilnehmer vom Sehen. Während wir auf den Start warten, geben wir uns die Hände und machen ein bisschen Konversation. Ich bin in der Regel kein sehr leutseliger Mensch, aber mit Triathleten komme ich leichter ins Gespräch. In dieser Gesellschaft sind wir ein ungewöhnlicher Menschenschlag. Denken Sie einmal darüber nach. Die meisten der Teilnehmer haben Beruf und Familie und trainieren trotz all ihrer Verpflichtungen noch Schwimmen, Radfahren und Laufen – und sie trainieren viel. Natürlich kostet das Zeit und Energie. Unter gewöhnlichen Gesichtspunkten kann man das nicht als ein normales Leben bezeichnen. Man kann es denjenigen, die Triathleten als Fanatiker und Spinner bezeichnen, kaum übel nehmen. Aber zwischen uns gibt es wenn vielleicht auch nicht die hehre Tugend der »Solidarität«, so doch eine Wärme, die über allem liegt, wie ein leichter Dunst über einer Klippe im Spätfrühling. Natürlich ist auch Rivalität dabei, denn es ist ja Wettkampf, doch für die meisten Menschen, die an einem Triathlon teilnehmen, ist dieser Aspekt von geringerer Bedeutung, als es die Rituale des Triathlons sind, die diese Verbundenheit bestätigen.
    Dafür ist der Triathlon in Murakami besonders gut geeignet. Die Zahl der Teilnehmer ist nicht enorm hoch (etwa drei- bis vierhundert), und das ganze Ereignis an sich ist nicht bombastisch, sondern ein
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