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Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Titel: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
Autoren: Haruki Murakami
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das Romane-Schreiben und das Schwimmen. Natürlich gibt es Lehrer, die ein bestimmtes Fach in einer bestimmten Reihenfolge in vorgefassten Sätzen unterrichten können. Aber nur ganz wenige sind in der Lage, ihren Unterricht den individuellen Fähigkeiten und Neigungen ihrer Schüler anzupassen. So gut wie niemand, könnte man vielleicht sogar sagen.
    Die ersten beiden Jahre vergeudete ich mit der Suche nach einem guten Trainer. Sooft ich einen neuen Trainer hatte, machte er sich an meinem Schwimmstil zu schaffen, nicht selten mit dem Ergebnis, dass ich kaum noch schwimmen konnte und auch noch den letzten Rest an Selbstvertrauen verlor. So konnte ich an keinem Wettkampf teilnehmen.
    Fortschritte begann ich erst zu machen, als ich erkannte, dass der Versuch, meinen Stil zu ändern, keinen Wert hatte. Es war meine Frau, die einen guten Trainer für mich fand. Ihr ganzes Leben lang konnte sie nicht schwimmen. Dann lernte sie in ihrem Fitness-Studio eine junge Schwimmtrainerin kennen, und es ist kaum zu glauben, wie gut sie jetzt schwimmt. Also empfahl sie diese Trainerin auch mir.
    Als Erstes sah sie sich meine Art zu schwimmen an und fragte mich, was mein Ziel sei. »Ich möchte an einem Triathlon teilnehmen«, sagte ich.
    »Das heißt, Sie möchten im Meer kraulen und lange Strecken schwimmen können?«, fragte sie weiter.
    »Ja, genau«, sagte ich. »An kurzen Spurts ist mir weniger gelegen.«
    »Ich verstehe. Dass Sie ein so klares Ziel haben, macht die Sache leichter.«
    Also nahm ich Einzelunterricht bei ihr, um meinen Schwimmstil zu verbessern. Es war nicht ihre Methode, mir meine bisherige Art zu schwimmen abzugewöhnen, um mir etwas von Grund auf Neues beizubringen. Sicherlich ist es für einen Lehrer viel schwieriger, den Stil einer Person zu ändern, die bereits schwimmen kann, als mit einem Nichtschwimmer zu beginnen, der sozusagen noch ein unbeschriebenes Blatt ist. Schlechte Gewohnheiten zu unterbinden ist nicht leicht. Daher wollte sie kein radikales Umlernen erzwingen, sondern korrigierte über einen längeren Zeitraum eine kleine Bewegung nach der anderen.
    Das Besondere an ihrer Unterrichtsmethode war, dass sie sich nicht nach dem Lehrbuch richtete. Um ihrem Schüler die richtige Art zu rollen beizubringen, begann sie damit, ihn überhaupt nicht rollen zu lassen. Menschen, die sich das Kraulen selbst beigebracht haben, neigen zu zu starkem Rollen des Oberkörpers. Dadurch verstärkt sich der Wasserwiderstand, und das Tempo lässt nach. Also lehrte sie mich am Anfang, wie ein flaches Brett zu schwimmen, ohne den Körper zu drehen – das Gegenteil von dem, was im Lehrbuch steht. Ich brauche kaum zu sagen, dass ich dabei das Gefühl hatte, ein schrecklich schlechter Schwimmer zu sein. Durch hartnäckiges Üben schaffte ich es, auf diese mir von ihr aufgetragene linkische Art zu schwimmen, aber überzeugt war ich nicht.
    Ganz allmählich gestattete sie mir Drehbewegungen. Ohne eigens hervorzuheben, worum es ging:Wir übten nur eine weitere Art der Bewegung ein. Der Schüler weiß nicht, welche konkrete Absicht hinter der Übung steht. Er führt nur aus, was ihm gesagt wird, bewegt nur diesen einen Teil seines Körpers. Geht es beispielsweise um das Drehen der Schultern, wiederholt man endlos eine Übung. Mitunter verbringt man eine ganze Stunde damit, die Schultern zu rollen. Danach ist man erschöpft und ausgelaugt, aber im Nachhinein wird der Sinn und Zweck der Übung klar. Am Ende fügt sich alles zusammen, und man erkennt vielleicht zum ersten Mal, welche Funktionen die einzelnen Teile haben. Es ist, wie wenn der Morgen dämmert, der Himmel heller wird und die Farben und Formen der Dächer, die bislang verschwommen waren, deutlich aus der Dunkelheit emportauchen.
    Vielleicht ist es auch so ähnlich wie trommeln zu lernen. Tag für Tag übt man nur den Bass. Dann tagelang nur Becken. Dann über mehrere Tage einen Takt – tam, tam, tam. Eintönig und langweilig, zweifellos, aber wenn man eines Tages alles zusammenfügt, entsteht ein solider Rhythmus. Aber um dies zu erreichen, muss man hartnäckig, fleißig und geduldig die Schrauben aller Einzelteile anziehen. Das braucht natürlich Zeit. Doch in vielen Fällen ist es der kürzeste Weg, sich diese Zeit zu nehmen. Das tat ich beim Schwimmen, und nach anderthalb Jahren war ich in der Lage, lange Strecken viel eleganter und mit weit weniger Kraftaufwand zu bewältigen als je zuvor.
    Noch eine Sache habe ich bei meinem Schwimmtraining gelernt. Meine
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