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Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)

Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)

Titel: Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)
Autoren: Luanne Rice
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»Schön. Ich weiß, dass sie Narben davongetragen hat, genau wie ich. Jemanden auf so tragische Weise zu verlieren ist schrecklich. Es macht verwundbar … wahrscheinlich hatte Edward deshalb leichtes Spiel mit mir. Ich war Vollwaise; dass ich inzwischen dreißig Jahre alt war, als ich ihn kennenlernte, spielte keine Rolle. Sie fehlten mir trotzdem.«
    »Und welche Verbindung besteht zwischen Edward und Camille?«, fragte Liam verwirrt.
    »Er hatte eine alte gerahmte Fotografie an der Wand hängen, von einem altmodischen Walfangschiff, das im Winter am Kai lag. Wunderschön, aber auch gespenstisch – Masten und Abdeckplanen waren mit einer dicken Eisschicht bedeckt. Er pflegte den Leuten zu erzählen, sein Urgroßvater sei Kapitän eines Walfängers gewesen. Es war eine Lüge, genau wie die Geschichte von seinem Harvard-Studium, aber vermutlich tischte er sie so oft auf, bis er sie am Ende selber glaubte.«
    »Wie hieß das Schiff?«
    »Pinnacle.« Lilys Augen glänzten.
    »So lautete der Name des Schiffes, das meinem Ururgroßvater gehörte. Tecumseh Neill, der Erste.«
    »Ich weiß. Jedes Mal, wenn ich die Aufnahme betrachtete, hatte ich das Gefühl, mein Herz sei ebenfalls zu Eis erstarrt – durch die Kälte, die ich im Zusammenleben mit Edward innerlich verspürte. Das Foto interessierte ihn nur als Beweis dafür, dass er aus gutem Hause kam und von einem Seekapitän abstammte. Ich fand die Kulisse ziemlich unheimlich. Die zerklüfteten Klippen, der gefrorene Fjord und die langen Winter in Schnee und Eis wirkten schroff und abweisend. Aber sie entsprachen genau dem, was ich in meinem tiefsten Inneren empfand.«
    »Wie hast du herausgefunden, wo das Foto aufgenommen wurde?«
    »Das war ein Kinderspiel. Es war ein Original, stammte von einem namhaften Fotografen. Sepiafarben, Gelatine-Silberabzug, ziemlich wertvoll. Auf der Rückseite fand ich den Stempel des Fotoateliers und rief dort an. Die Vorbesitzerin, die es verkauft hatte, war Camille.«
    »Sie hat eine recht umfangreiche Sammlung lokaler maritimer Kunstgegenstände«, sagte Liam, verwundert über das zufällige Zusammentreffen.
    »Ich erschrak, als ich die Unterschrift auf der Quittung sah, denn das war die Frau, die nach dem Fährunglück das Denkmal gestiftet hatte. Und ich dachte noch, was für ein seltsamer Name. Camille Neill. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich ihr eines Tages persönlich begegnen würde.«
    »Deshalb kamst du hierher? Aus diesen beiden Gründen?«
    »Zum Teil. Zum einen gefiel mir die Verbindung zu meinen Eltern, und zum anderen fand ich Cape Hawk sehr malerisch. Außerdem empfand ich es als kleine verborgene Rache, ausgerechnet an einem Ort unterzutauchen, den Edward jeden Tag vor Augen hatte – das Foto, mit dem er die Lügen über seine illustren Vorfahren untermauerte. Er behauptete, das sei Neufundland, weil er keine Ahnung hatte, wo es aufgenommen worden war.«
    »Gut gemacht, Lily.« Liam umarmte sie.
    »Dazu kam, dass Cape Hawk weit, weit weg war.«
    »Von Edward.«
    Lily nickte. »Was ein Segen war. Aber auch schrecklich, wegen der Entfernung zu meiner Großmutter. Sie riet mir, mich an einem entlegenen Ort zu verstecken – sie gab mir Geld und half mir, meine Spuren zu verwischen, sie belog die Polizei.«
    »Patrick Murphy.« Während alle anderen damit beschäftigt waren, Rose und Lily zu begrüßen, hatte Liam den Blick des Polizisten gesehen – er spiegelte die Genugtuung darüber wider, die Frau gefunden zu haben, die er Mara nannte, aber auch eine leise Traurigkeit, das Gefühl, hintergangen worden zu sein. Er hatte Liam leidgetan.
    »Ja«, erwiderte Lily. »Glaubst du, dass es stimmt, was er sagt? Dass meine Großmutter wollte, dass er mich sucht?«
    »Ich dachte, sie wüsste, wo du bist. Warum hat sie nicht einfach angerufen?«
    »Sie wusste nicht, wo ich Zuflucht suchen würde. Wir waren der Meinung, das sei der einzige Weg, Rose und mich nachhaltig zu schützen. Ich ließ ihr heimlich Botschaften zukommen, unauffällige Hinweise. Der Zeitungsausschnitt, das Brillenetui – außerdem ist sie Ehrenmitglied der Nanouks – die Mitgliedschaft in einem Aquarium in der Nähe ihres Wohnorts. Da Rose und ich so viel Freude an Nanny haben, waren wir durch ihre Artgenossen irgendwie mit Maeve verbunden.«
    »Warum rufst du deine Großmutter nicht an?« Liam ließ kein Wort darüber verlauten, dass er sich Sorgen um Nanny machte – sie schwamm weiterhin nach Süden, hielt sich den neuesten
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