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Wolfslied Roman

Wolfslied Roman

Titel: Wolfslied Roman
Autoren: Alisa Sheckley
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sah wie eine Wand aus Nebel aus, aber ich wusste, dass es sich um etwas anderes handelte. Würde ich diese Mauer durchbrechen, könnte ich wieder die schwere Dichte der beiden Realitäten spüren, die dort aufeinandertrafen.
    Die Manitus eigneten sich unsere Stadt an. Sie wollten nicht nur ihre alten Wege zurück, sondern das ganze Gebiet in die liminale Zone einverleiben. Von hier oben aus war das deutlich zu erkennen.
    Wahrscheinlich sollten wir das neue Bermuda-Dreieck werden. Ich konnte jetzt auch die Sterne sehen - und hören. Sie klingelten wie himmlische Glocken, und das in einer Tonlage, die für menschliche oder auch wölfische Ohren kaum zu hören war. Hier war das liminale Tor zum Universum, die Straße, die zu den Manitus führte. Und ich war mehr als aufgeregt herauszufinden, was mich dort erwartete.
    Gleichzeitig fragte ich mich, ob meine Mutter wohl meinen Leichnam finden oder erfahren würde, was mit mir geschehen war. Würde Red mich vermissen? Ich blickte ein letztes Mal zur Erde hinab, die ich im Begriff war, für immer hinter mir zu lassen. Als hätte ich ein eingebautes Fernglas, stellte ich meine Augen scharf und betrachtete noch einmal das Kornfeld unter mir.
    Mein Körper, der dort unten lag, sah ganz friedlich aus. Neben mir befand sich Kayla jedoch in extremer Panik. Sie trommelte auf ihre Brust ein, zog die Knie hoch und wippte mit dem Kopf vor und zurück.
    Ein Blick genügte, und ich wusste: So konnte ich sie nicht zurücklassen.

    Mit diesem Gedanken stürzte ich zur Erde zurück und fuhr wieder in meinen Körper. Es fühlte sich an, als würde ich aus großer Höhe in einen eiskalten See springen. Oder vielmehr so, als würde ich in diesen See gestoßen werden, denn eigentlich wollte ich gar nicht zurückkehren.
    Keuchend rollte ich mich zur Seite und kroch dann zu Kayla.
    »Kleidung … Ersticke … Hilfe.«
    Ich zog die Schere heraus, die ich als Waffe eingesteckt hatte, und schnitt ihre Klamotten auf. Mir war inzwischen klar, dass es sich um keinen Herzinfarkt handelte, den Kayla da erlitt. Ihre Augen weiteten sich vor Schmerz, Angst und noch etwas anderem, das ich nicht identifizieren konnte, das ihre Pupillen aber unglaublich riesig und rund erscheinen ließ, während Kaylas Nase schrumpfte.
    Mir blieb keine Zeit, der Transformation zuzusehen, denn ich musste mich selbst meiner Kleidung entledigen. Einen Moment später spürte ich, wie sich meine Knochen mit einem leisen Knacken verwandelten und sich Fell über meine Haut legte.
    Als ich aufblickte, stellte ich fest, dass der Winter zurückgekehrt war.
    Die Grey-Schwestern hatten den Wolf in mir freigelassen. Meine Schoßhunde waren allesamt zur Größe kleiner Ponys herangewachsen. Was früher einmal Hund an ihnen gewesen sein mochte, war nun endgültig verschwunden.
    Als ich mich nach Kayla umblickte, konnte ich nur noch einen kleinen Streifenkauz entdecken, der einen leisen Schrei ausstieß, als könnte er die plötzliche Verwandlung selbst nicht fassen.

35
    Der Mondstein hing mir noch um den Hals. Vielleicht konnte ich deshalb zum ersten Mal, seit ich ein Lykanthrop geworden war, nachdenken und einen Plan aushecken. Da der Mond nicht mehr ganz voll war, hatte ich mich zudem nicht völlig in einen Wolf verwandelt.
    Kayla flog lautlos mit weit ausgebreiteten Flügeln über mir, während ich mit meinem Rudel über das Kornfeld zu den Höhlen rannte. Sie war ein stiller Kauz, und ich spürte, dass ihr neues Aussehen ihr selbst sehr zusagte. Die Wolfshunde waren aufgeregt. Das Ganze fühlte sich wie eine Jagd an, und seit ihrer Metamorphose waren sie zu wilden Tieren geworden, die für die Jagd lebten.
    Der hohe Sommerweizen war wieder verschwunden, und ich genoss es, erneut den Schnee unter meinen Pfoten zu spüren. Die Gegenwart des Mondes verlieh mir eine neue Sicherheit. Zumindest war somit ein Teil meiner Realität zurückgekehrt, auch wenn ich noch immer die Gegenwart der nebeligen Grenzzone spürte.
    Gerne hätte ich gewusst, wie viel Zeit vergangen war, seitdem wir den Pfefferkuchenmann gegessen und den Wein getrunken hatten. Es fühlte sich wie Stunden an, was aber nichts zu bedeuten hatte. Soweit ich das einschätzen
konnte, waren Magda und die anderen erst seit kurzem unterwegs. Vielleicht warteten sie jetzt darauf, dass wir mit unserem Ablenkungsmanöver begannen. Oder vielleicht war der Kampf auch bereits vorüber, und all waren längst tot.
    Als ich den Eingang zu den Höhlen entdeckte, hielt ich an und lauschte.
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