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Wolfslied Roman

Wolfslied Roman

Titel: Wolfslied Roman
Autoren: Alisa Sheckley
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meisten Angst - ein Leben ohne Mann. Ich habe geglaubt, alles würde sinnlos sein, wenn es keinen Mann gäbe, der einem ständig erklärt, wie sexy man ist und wie sehr er einen begehrt. Aber weißt du was? Ich bin so viel glücklicher. Dick und alleinerziehend.«
    »Du bist nicht dick.«
    »Aber auf dem Weg dorthin. Wie gesagt - das macht mir jetzt nichts mehr aus. Ich mag vielleicht nicht mehr sexy sein und auch keinen Mann haben. Aber wen kratzt das schon? He, ich habe eine Idee.« Sie streckte mir ihre übereinandergekreuzten Handgelenke entgegen. »Kannst du dich noch erinnern, wie das geht? Wir halten uns einfach an den Händen fest und drehen uns im Kreis.«
    »Das schaffe sogar ich.«
    Ich nahm sie an den Händen, und wir fingen an, im Kreis zu wirbeln. Fast glaubte ich, wieder sechs Jahre alt zu sein, so ausgelassen lachten und drehten wir uns. Der Wind wurde stärker und vertrieb die Wolken, während wir uns wie die Derwische mit zurückgeworfenen Köpfen drehten.
    »Ich lass jetzt los«, rief Kayla und löste sich von mir. Wir fielen zu Boden und starrten zum Mond hinauf. Die Luft
um uns herum war jetzt deutlich kühler als zuvor; die Temperatur schien zu sinken.
    In diesem Augenblick fühlte ich mich mit Kayla enger verbunden als mit Lilliana.
    »Ich bekomme kaum mehr Luft«, keuchte sie.
    »Aber wir haben es geschafft!« Ich fasste nach ihrer Hand und drückte sie, wobei ich bereits die Anziehungskraft des Mondes auf meiner Haut spüren konnte. Außerdem hatte ich wieder ein deutlich feineres Geruchsempfinden.
    »Wow«, staunte Kayla. »Kannst du das spüren?« Sie presste eine Hand auf ihre Brust, und ich richtete mich auf einem Ellbogen hoch, um sie anzusehen.
    »Was?« Der Boden unter mir wurde kälter, also setzte ich mich ganz auf.
    »Mein Herz. Wie ein gefangener Vogel. Da.« Sie nahm meine Hand und legte sie auf die linke Seite ihrer Brust. Ihr Herz pochte wie verrückt.
    »Vielleicht solltest du dich besser hinlegen«, schlug ich vor.
    Ihre Augen weiteten sich. »Da ist etwas in meiner Brust«, sagte sie. »Ein Vogel, der rauswill.«
    »Verlier nicht die Nerven«, riet ich ihr und hielt ihre Hände fest. »Dein Herz schlägt so schnell, weil du panisch bist. Versuch lieber, tief durchzuatmen.«
    Sie folgte meinem Rat, doch anstatt sich zu beruhigen, traten ihr vor Angst fast die Augen aus den Höhlen. Ihr rundliches Gesicht war auf einmal rot und geschwollen … Geschwollen? Woher kam diese Schwellung? Bekam sie etwa keine Luft mehr?
    Doch dann begann auch ich es zu fühlen. Mein Herz schlug zwar nicht wie ein gefangener Vogel in der Brust,
aber dafür hatte ich das Gefühl, die Verbindung zu meinem Körper zu verlieren. Mein Bewusstsein schien sich irgendwohin zurückgezogen zu haben, und ich konnte mich plötzlich nicht mehr daran erinnern, was ich mit meinen Armen und Beinen anfangen sollte. Die Angst, vor der ich Kayla gerade noch gewarnt hatte, ergriff jetzt auch mich: Ich hatte schlagartig vergessen, wie man atmete.
    Dann löste ich mich von meinem Körper. Es war nicht mit der schrecklichen Erfahrung in meiner Kindheit zu vergleichen; es war um vieles schlimmer. Ich spürte, wie ich davondriftete, wie ich mich wie ein Nebel aus meinem Körper hob und meine äußere Hülle von oben betrachtete. Ein seltsames Gefühl erfasste mich, als ich mein Lieblingsoutfit sah, ohne das ich bisher nicht hatte leben können - eine Ansammlung von Knochen, Haut und Haaren, die mir bis vor kurzem noch als das Wesentliche meines Daseins erschienen war. Ich sah meinen langen Pferdeschwanz, und mir wurde klar, wie sehr ich mich mit diesen Haaren identifiziert hatte. Als Wolf, dachte ich, hatte ich mehr Verstand.
    Vielleicht trage ich eines Tages ein anderes Outfit, dachte ich weiter, während ich immer höher aufstieg. Ich blickte nach oben und konnte jetzt den Mond sehen - eine kleine Insel in einem riesigen fremdartigen Ozean. Dancing in the moonlight, dachte ich und spürte, wie ich erbebte.
    Noch weiter trieb ich in die Höhe. Auf den Straßen unter mir konnte ich ein paar Scheinwerfer erkennen, doch in den Häusern brannten keine Lampen. Der Sturm hatte die Stromverbindung unterbrochen. Im Sommer war das nichts Ungewöhnliches, aber diesmal würden die Männer vom Stromwerk ihre Arbeit morgen früh vermutlich nicht verrichten und die Leitungen wie sonst üblich reparieren.

    Ich schwebte inzwischen so weit oben, dass ich um die äußeren Grenzen von Northside in der Luft eine Kräuselung sehen konnte. Es
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