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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
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durchdringen-
    den Blick an. Er kannte noch meinen Namen. Das verblüffte
    mich völlig. Also, sein Kopf schien nichts abbekommen zu
    haben. Er wiederholte meinen Namen:
    „Joe, ich bitte dich mir zu helfen. Du darfst niemanden
    rufen. Wenn du mir wirklich helfen willst, dann bring mich
    einfach nach Hause.“ Seine Bitte, sein Flehen klangen wie
    der herzerweichende Wunsch eines Kindes, den man unmög-
    lich abschlagen konnte. Also tat ich, was für mich undenkbar
    war. Ich tat nicht das, was offensichtlich „das Richtige“ war,
    sondern worum er mich gebeten hatte. Ich ließ mein Handy
    in meiner Tasche verschwinden und löste mich von seinem
    starken Griff. „In Ordnung“, gab ich ihm zu verstehen und
    blickte ihm direkt in die Augen. Sofort löste sich seine An-
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    spannung und er sank erleichtert auf die Straße zurück. Er
    stieß einen langen Seufzer aus und wandte sich mir erneut
    zu.
    „Danke. Dafür werde ich dir ewig dankbar sein.“
    Der Lärm des Regens hätte seine sanften Dankesworte fast
    übertönt. Ich fühlte, wie eine unbekannte Nervosität in mir
    hochkam, die so gar nicht zu der Situation passte. Ich ver-
    suchte, mit Humor dieses seltsame Gefühl in mir zu über-
    spielen: „Hey, schließlich habe ich dich angefahren. Ich
    schulde dir was.“ Er hatte sofort verstanden, dass ich einen
    unangebrachten Witz gemacht hatte, und lächelte schief,
    wobei sich ein leises „Aua“ in sein Lächeln mischte.
    „Ich schaffe dich jetzt wohl besser von der Fahrbahn. Du
    liegst hier schon ewig mitten im Regen. Und eine Lungen-
    entzündung ist das Letzte, was du gebrauchen kannst“, gab
    ich ihm zu verstehen, während ich versuchte, ihn beim Auf-
    stehen zu stützen. Er war schwerer, als ich gedacht hatte.
    Sein schlanker, drahtiger Körper hievte sich von der Straße,
    wobei seine Arme die Decke festhielten, die seinen nack-
    ten Körper vor der Kälte schützte. Ich versuchte, mich auf
    die Seite seiner unverletzten Hüfte zu schieben, und stützte
    sein Gewicht, indem ich seinen Arm um meine Schulter leg-
    te. Dabei kam er mir ganz nahe und ich bemerkte, dass von
    seinem Körper eine deutlich wahrnehmbare Hitze ausging,
    obwohl er ohne Kleidung in der nassen Kälte gelegen hatte.
    Das irritierte mich noch mehr als der rasende Puls, den seine
    Nähe bei mir auslöste.
    Linkisch öffnete ich die Beifahrertür und half ihm beim
    Einsteigen, wobei ich ein sanftes Lächeln auf seinen Lippen
    sah. Ich konnte mir keinen vernünftigen Grund für dieses
    Lächeln vorstellen. Ja, wenn er meine Verlegenheit erahnen
    könnte, vielleicht. Aber objektiv betrachtet war die Situation
    zu ernst für ein Lächeln. Ich entfernte mich von ihm, was
    mir ein merkwürdiges Unwohlsein und ein Leeregefühl ver-
    schaffte, um die Verbandssachen von der Straße zu sammeln.
    16

    Ich schmiss alles achtlos auf den Rücksitz und schnallte
    mich zuerst an. Dann lehnte ich mich auf seine Seite, um
    ihm den Sicherheitsgurt anzulegen, wobei er wieder dieses
    schiefe Lächeln aufsetzte und mein Herz automatisch poch-
    te, als würde ich an einen Defibrillator angeschlossen und
    sein Lächeln wäre der Auslöser.
    Erschrocken wich ich zurück und startete den Motor. Der
    Wagen fuhr langsam über die Stelle, wo wir uns beide noch
    kurz zuvor befunden hatten. Wie ferngesteuert fuhr ich die
    Straße entlang und bog bei der zweiten Möglichkeit rechts
    ab. Er durchbrach die Stille mit einer Feststellung.
    „Du fährst ja zu dir und nicht zu mir.“
    „Woher weißt du, dass es hier zu mir geht?“, fragte ich
    völlig verdutzt.
    „Ich … glaube, jemand hat mir mal gezeigt, wo du wohnst“,
    stellte er klar.
    „Ach so“, antwortete ich unsicher.
    „Ich bringe dich zu mir. Du weigerst dich ja beharrlich, in
    ein Krankenhaus zu fahren oder einen Arzt zu sehen. Mei-
    ne Mutter ist Krankenschwester und es befinden sich eine
    Menge medizinische Artikel bei uns im Haus. Und außer-
    dem weiß ich ja nicht, wie gut deine Hausapotheke bestückt
    ist. Du hast doch nichts dagegen, dass ich versuche, dich bei
    mir zusammenzuflicken? Schließlich habe ich einiges bei dir
    gutzumachen“, sagte ich und wartete neugierig und gespannt
    auf seine Reaktion.
    „Nein, ich habe nichts dagegen. Ich bin dir sehr dankbar
    dafür. Für alles. Auch für dein Verständnis“, ließ er mich auf-
    richtig wissen.
    „Es ist ja nicht so, dass ich auch nur ansatzweise verstehe,
    wieso du keinen Arzt möchtest, aber ich verspreche dir, dich
    so gut ich
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