Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
Vom Netzwerk:
und ich starr-
    te gebannt auf die Zimmerdecke mit dem uralten Riss. Das
    Zimmer war vom Mondlicht durchflutet. Es musste Voll-
    mond sein, die Nacht davor oder danach. So hell war es. Es
    regnete jetzt nicht mehr. Ich starrte liegend aus dem Fenster
    und suchte nach der hellen Mondscheibe. Schnell hatte ich
    sie ausgemacht und starrte nun in einen riesigen Vollmond,
    an dessen Seite nur ein kaum sichtbares Stück fehlte. Durch
    diesen hypnotischen Anblick geriet ich ins Grübeln und mir
    fiel sofort wieder ein, wie ich Istvan zum ersten Mal begeg-
    net war.
    Das war vor knapp zwei Wochen gewesen. Es schien ewig
    her zu sein, dass ich die Mail der Redaktion gelesen hat-
    te. Ein Bibliothekar sei in mein Dorf gezogen. Davon hatte
    ich schon gehört, doch was ich nicht wusste, war, dass er
    eine viersprachige Bibliothek eröffnen wollte, die einmalig
    in unserer Gegend sein würde. Mein Redakteur schrieb, ich
    müsse unbedingt zur Eröffnung, um einen Bericht über die-
    25

    se Bücherei zu schreiben und über den Bibliothekar, der sie
    eingerichtet hatte. „Deutsche, ungarische, kroatische und
    englische Literatur auf einem Fleck. Die Story müssen wir
    bringen“, hatte Frank, mein Chef, geschrieben. Ich sah das
    genau wie er und sagte natürlich zu. Wie hätte ich wissen
    können, dass damit etwas ins Rollen kam, das mehr war, als
    ich je imstande war mir vorzustellen.
    So ging ich also mit Kameratasche und Reporterblock
    bewaffnet in das alte Gemeindehaus, das man nun zur Bü-
    cherei umfunktioniert hatte. Ich wusste so gut wie nichts
    über diesen neuen Mann im Dorf. Der Bürgermeister hatte
    nur beiläufig mal erwähnt, dass ein junger Mann mit unga-
    rischem Namen in das alte Pfarrhaus gezogen wäre und pla-
    ne, eine Bibliothek aufzumachen. Ich hatte keine großen Er-
    wartungen, als ich zu Fuß zum Pfarrhaus, das früher mal als
    Dorfschule gedient hatte, zur Eröffnung spazierte. Ich sollte
    mich dort mit dem Bürgermeister treffen und dann mit ihm
    und dem Bibliothekar zur Eröffnung ins alte Gemeindehaus
    gehen. Der Auftrag lautete, unbedingt ein Foto von dem
    mehrsprachigen Bibliothekar zu machen, dessen Name im
    Rundschreiben zur Eröffnung nicht genannt worden war,
    was ich schon ungewöhnlich fand.
    Als ich dort ankam, bemerkte ich, dass bereits das halbe
    Dorf auf den Beinen war und neugierig auf die Bücherei-
    eröffnung wartete. Der Bürgermeister, ein kleiner, rundlicher
    Mann namens Bernd Taucher, der mich schon kannte, als
    ich gerade mal einen halben Meter hoch war, wartete bereits
    auf mich und begrüßte mich mit einem Lächeln. Ich sah,
    dass er sich in Schale geschmissen hatte. Anzug und Krawat-
    te. Da kam ich mir mit meiner schwarzen Jeans, dem grauen
    Pullover und dem Parka etwas underdressed vor. Aber ich
    gehörte zur Presse. Das würde schon gehen. Er streckte mir
    wie immer die Hand zur Begrüßung entgegen und informier-
    te mich lächelnd: „Ich fürchte, der Herr Bibliothekar hat an-
    dere Pläne. Ich soll alle informieren, dass er auf uns in der
    Bibliothek wartet.“
    26

    „Schon gut. Zumindest können wir dann zusammen mit
    dem Volksaufmarsch bei ihm einfallen“, scherzte ich und
    deutete auf das halbe Dorf, das sich versammelt hatte, um
    neugierig die neueste Attraktion der Gegend auszuspionie-
    ren. Ich hätte wetten können, dass nicht einmal zwanzig Pro-
    zent von ihnen wegen der Bücher kamen.
    „Bereit, wenn du es bist“, ließ ich Bürgermeister Taucher
    wissen und bedeutete ihm vorzugehen, was er auch tat. So
    marschierten wir die schmale Straße hinunter und standen
    bald vor dem alten Gemeindeamt. Ein Altbau mit drei gro-
    ßen Räumen und einem kleinen Eingangsbereich, durch
    den sich jetzt fünfzig Leute zwängten. Die alte, verblichene
    Farbe an der Fassade hatte der neue Mieter belassen, doch
    im Inneren war das Haus nicht wiederzuerkennen. Alles war
    neu gestrichen worden in einem hellen Naturweiß und vie-
    le dunkle Holzregale waren aufgestellt worden, auf denen
    die Bücher eingeordnet waren. Vor jedem der drei Räume
    war ein kleines Schild angebracht, das den Raum jeweils
    als unga rischen, kroatischen oder deutschen Büchersaal
    auswies. Im Eingangsbereich gab es ein kleines Buffet. Ich
    begann mich im deutschsprachigen Saal umzusehen, da er
    der größte war, und machte ein paar Schnappschüsse von
    den Besuchern, die in den Büchern stöberten. Ich war be-
    eindruckt von der Größe der Bibliothek. Das hatte ich nicht
    erwartet. Vor ein paar
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher