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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
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er,
    immer noch lächelnd.
    „Darf ich Ihnen vielleicht einen Tipp geben? Lassen Sie
    das Siezen. Eigentlich ist das in unserer Gegend nicht üb-
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    lich, besonders unter Gleichaltrigen. Es sei denn, man kann
    jemanden nicht besonders leiden“, riet ich ihm unaufgefor-
    dert und wollte damit eigentlich nur verhindern, dass er mich
    noch mal mit Sie ansprach.
    „Gut, wenn das so ist, sage ich Du, sonst denkst du noch,
    ich hätte etwas gegen dich. Das möchte ich lieber nicht ris-
    kieren!“, bemerkte er mit einem schiefen Grinsen.
    „Eigentlich sollte ich dich doch interviewen und dir keine
    Tipps zum Überleben auf dem Lande geben. Also, wie war
    das nun mit der Bibliothek?“, versuchte ich wieder auf Kurs
    zu kommen.
    Er verschränkte die Arme vor der Brust und ging neben
    mir her, von Regal zu Regal, während er mir erzählte, was ich
    wissen wollte:
    „Ich habe Literatur in Wien und Budapest studiert. Bü-
    cher waren schon immer meine große Leidenschaft, und als
    meine eigene Sammlung groß genug war, habe ich versucht,
    ein paar weitere Sammlungen aufzutreiben, um damit genug
    deutsche und ungarische Bücher zusammenzuhaben, damit
    es für eine umfassende, kleine Bibliothek reicht. Ich wollte
    schon immer eine eigene Bibliothek eröffnen.“
    „Dann sprichst du mehrere Sprachen?“, wollte ich wis-
    sen.
    „Ja. Ich spreche Deutsch, Ungarisch, Englisch und Italie-
    nisch. Etwas Rumänisch kann ich auch“, stellte er klar.
    „Aber du hast doch auch kroatische Bücher?“, fragte ich
    verwirrt.
    „Um ehrlich zu sein, habe ich die kroatischen Bücher
    erst dazugenommen, als klar war, dass ich die Bibliothek im
    Südburgenland einrichten würde. Das schien mir passend
    aufgrund der Verbreitung der Burgenland-Kroaten in dieser
    Gegend.“
    Man merkte an seinen präzisen Ausführungen, dass er
    sehr klug war, damit aber nicht angeben wollte. Ich hatte
    während seiner gesamten Ausführungen ständig so ein selt-
    sames Gefühl, als ob wir uns schon mal begegnet wären.
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    Dieser fremde Mann kam mir so seltsam vertraut vor. Und
    während ich dieses Déjà-vu-Gefühl nicht loswurde, lauschte
    ich weiter seinen Angaben über Umfang, Schwerpunkt und
    Ausführung seiner Bibliothek und machte mir dazu Notizen.
    Wobei er mir immer wieder mal ein warmes, vertrauliches
    Lächeln schenkte, das mein Gefühl, ihn bereits zu kennen,
    nur noch mehr verstärkte. Auch er schien sich zu verhalten,
    als würden wir uns bereits kennen. Es war schwer zu er-
    klären, aber die Art, wie er mich ansah und mit mir redete,
    entsprach eher der von zwei alten Bekannten, die sich seit
    langer Zeit zum ersten Mal wieder sahen.
    Nachdem ich die Informationen hatte, die ich für den Ar-
    tikel brauchte, musste ich noch das Porträt von ihm machen.
    Das würde leicht werden. Einen derart attraktiven, jungen
    Mann mit sandfarbenen, kurzen Haaren gut aussehen zu las-
    sen, war fast schon zu leicht.
    Ich tippte auf meine Kamera, die ich über die Schulter
    gelehnt trug, und fragte ihn:
    „Können wir dann noch das Foto von dir für den Artikel
    machen?“
    „Welches Foto? Bürgermeister Taucher hat mir nichts von
    einem Foto erzählt. Ich möchte auf keinen Fall fotografiert
    werden!“, stellte er mit aufgebrachter Stimme klar, wobei er
    immer mehr auf Abstand zu mir ging.
    Ich konnte seine überzogene Reaktion überhaupt nicht
    nachvollziehen. Schließlich hatte ich noch nie einen gut aus-
    sehenden, jungen Mann erlebt, der sich beharrlich weigerte,
    von der Presse fotografiert zu werden.
    „Bernd dachte bestimmt, du wüsstest über das Foto Be-
    scheid. Wir bringen einen Eröffnungsartikel immer mit einem
    Porträt der Beteiligten, vor allem, wenn es sich um den Be-
    sitzer handelt“, versuchte ich ihm beruhigend zu erklären.
    „Tut mir leid, ich wollte nicht so heftig reagieren. Ich kann
    es nur nicht leiden, wenn ich fotografiert werde. Kannst du
    nicht einfach ein Foto von den Besuchern oder der Biblio-
    thek nehmen?“, fragte er mich mit flehendem Blick.
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    „Tja, wenn ich dich nicht überzeugen kann, wird mir
    nichts anderes übrig bleiben“, versicherte ich ihm resigniert,
    woraufhin er sich wieder etwas entspannte.
    Das Ganze war schon sehr merkwürdig. Ich hatte plötzlich
    ein ganz komisches Gefühl, was Istvan anging. Was? War er
    etwa ein Verbrecher auf der Flucht und konnte nicht zulas-
    sen, dass in der Presse ein Foto von ihm veröffentlicht würde?
    Oder hatte er eine Kameraphobie? Das konnte ich mir
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