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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
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Jahren, während meiner Schul- und
    Studienzeit, wäre ich sehr dankbar für eine so gut bestück-
    te Bücherei in der Nähe gewesen. Ein paar Leute, die ich
    kannte, winkten mir immer mal wieder zu, während ich wei-
    terfotografierte. Ich ging zurück zur Tür, um ein paar Total-
    fotos von dem Raum zu machen, und spähte in die anderen
    Räume.
    Der – mir noch immer fremde – Bibliothekar hatte sich
    viel Mühe gemacht. In jedem Raum hingen Fotos und Port-
    räts der passenden Literaten an der Wand. So fand man im
    deutschsprachigen Raum Bilder von Rilke oder Goethe. Am
    anderen Ende des Saales sah ich den Bürgermeister, wie er
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    mit einem jungen Mann sprach, der mir den Rücken zuge-
    wandt hatte. Ich vermutete, dass es der Besitzer sein müsste,
    da er mir nicht bekannt vorkam, und zückte schon mal mei-
    nen Notizblock und einen Stift.
    Der fremde Mann drehte sich um und ging auf mich zu.
    Dazu musste er den ganzen Raum durchqueren, was mir Ge-
    legenheit gab, ihn mir genauer anzusehen. Auf mich kam ein
    attraktiver, groß gewachsener Mann zu, der etwa Mitte oder
    Ende zwanzig sein musste, mit athletischer, schlanker Ge-
    stalt. Er hatte eine Jeans an und trug ein schwarzes T-Shirt
    unter einem schwarzen Blazer. Schon aus der Entfernung
    konnte ich seine außergewöhnlich grünen Augen sehen, die
    mich anstarrten und dabei von oben bis unten musterten.
    Am auffälligsten war das schiefe Grinsen, mit dem er auf
    mich zusteuerte. Der Blick, mit dem er mich anstarrte, war
    einschüchternd. So, als ob er mich bereits nackt gesehen
    hätte und mich jetzt zum ersten Mal angezogen betrachten
    würde. Es kam mir fast vor, als hätte er eine Art Röntgen-
    blick, mit dem er durch meine Klamotten sehen könnte. Ich
    wurde ganz verlegen, was sonst nicht meine Art war. Schien
    er meine Verlegenheit gar zu bemerken? Denn er sah amü-
    siert zu Boden und ich konnte trotzdem ein unterdrücktes
    Grinsen auf seinem Gesicht wahrnehmen.
    Doch richtig erstaunt war ich erst, als er direkt vor mir
    stand und mich mit dieser sanften, tiefen und leicht rauen
    Stimme ansprach:
    „Sie müssen Joe sein. Der Bürgermeister meinte, Sie wol-
    len etwas von mir“, sagte er, wobei er fast abnorm dicht vor
    mir stand.
    „Ja. Die bin ich. Was hat Ihnen der Bürgermeister denn
    sonst noch gesagt?“, fragte ich stammelnd.
    „Eigentlich nur, dass Sie vom Lokalblatt sind und über
    die Eröffnung berichten wollen. Er meinte, Sie würden ein
    paar Fragen an mich haben“, stellte er klar. Wobei ich mich
    konzentrieren musste, um alles mitzubekommen, was er mir
    sagte. Seine smaragdgrünen Augen waren eine zu große Ab-
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    lenkung. Vor allem deshalb, weil er dazu neigte, mir direkt in
    die Augen zu sehen.
    „Am besten, Sie erzählen mir einfach etwas über die Bib-
    liothek und wie Sie auf die Idee gekommen sind, eine vier-
    sprachige Bücherei in St. Hodas zu eröffnen“, wies ich ihn
    an und versuchte, in meine Professionalität zurückzukehren.
    Er wollte gerade antworten, da unterbrach ich ihn:
    „Verzeihung, aber ich kenne Ihren Namen noch gar nicht.“
    „Oh, habe ich vergessen mich vorzustellen? Mein Name
    ist Istvan Jany. Sie sind Joe, Josefine Paul, richtig?“
    „Ja. Freut mich. Ich bin beeindruckt, Sie kennen gleich
    meinen vollen Namen und ich als Reporterin kannte nicht
    mal Ihren Vornamen. Vielleicht haben Sie den falschen Be-
    ruf gewählt“, scherzte ich nervös. Was war das? Flirtete ich
    etwa?
    Er musste lachen und sah dabei wieder nach unten. Da-
    bei fielen mir seine hohen Wangenknochen auf, die seine
    osteuropäische Herkunft verrieten. Sein Gesicht war eine
    interessante Mischung von zart und rau. Seine Gesichtszü-
    ge, seine Nase und die Wangenknochen waren fein und an-
    mutig, während sein Dreitagebart und die kräftigen Kiefer-
    knochen ihm etwas Raues, Verwegenes verliehen. Besonders
    sein Mund inmitten dieser braunen Stoppeln schien diese
    eigenartige Mischung aus hart und zart hervorzuheben. Sei-
    ne Lippen waren blassrosa, gleichmäßig und er hatte diesen
    angenehmen Zug um den Mund, irgendwie gütig. Das erin-
    nerte mich an meine Mutter und ich spürte wieder, wie sie
    mir fehlte, seit sie mit meinem Vater auf Reisen war.
    Als er wieder hochsah, versuchte ich, mir nicht anmerken
    zu lassen, dass ich ihn gemustert hatte.
    „Tut mir leid. Ich neige dazu, unangebrachte Witze zu
    machen. Ignorieren Sie es einfach“, entschuldigte ich mich.
    „Ich fand Ihren Witz eigentlich ganz passend“, sagte
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