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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
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nur
    schwer vorstellen bei so einem gut aussehenden Mann.
    Eines stand jedenfalls fest, meinem Chefredakteur würde
    das bestimmt nicht gefallen.
    Es gab nun ein unangenehmes Schweigen zwischen uns,
    wie ich es verabscheute. Wir standen uns gegenüber, blick-
    ten aber nur auf die Leute, die sich die vielen Bücher an-
    sahen. Keiner schien sich für uns oder unser Schweigen zu
    interessieren. Ich konnte diese bedrückende Stille nicht län-
    ger aushalten und tat so, als hätte ich noch weitere Fragen,
    die ich ihm unbedingt stellen müsste:
    „Wo sind eigentlich die englischen Bücher, hier gibt es ja
    nur drei Säle?“, fragte ich etwas gekünstelt und wartete ge-
    bannt auf seine nächste Reaktion.
    „Ich hatte keinen Platz für den englischen Bestand und
    muss ihn deshalb bei mir im Haus aufbewahren. Es ist aber
    kein Problem für die Besucher. Ich habe die englischen Bü-
    cher auf den Karteikarten hier und kann sie während der
    Bib liothekszeiten von zu Hause holen. Sind ja nur dreihun-
    dert Meter“, erklärte er mir.
    „Verstehe. Könnte ich die englischen Bücher vielleicht
    sehen, wenn es dir nichts ausmacht, oder musst du hierblei-
    ben?“, fragte ich herausfordernd.
    Er hatte mich verflucht neugierig mit seiner Reaktion auf das
    Fotografiertwerden gemacht und ich musste einen Weg finden,
    sein Haus von innen zu sehen. Er schien genau zu überlegen.
    „Ich denke, für ein paar Minuten kann ich mich davon-
    stehlen. Ich schulde dir doch was für das verpatzte Foto“,
    meinte er schließlich.
    32

    Ohne irgendjemandem Bescheid zu geben oder sich um
    seine Besucher zu kümmern, schlich er sich mit mir davon.
    Ich hatte es also mit jemandem zu tun, der es gewohnt war,
    frei und ungebunden auf eigene Faust zu handeln. Das war
    mir gleich sympathisch.
    Wir gingen mit schnellen Schritten die Straße hoch, wo-
    bei er immer ein paar Schritte vor mir war, vorbei an der
    Kirche bis zur alten Steinmauer. Am Tor angelangt, drehte er
    sich zu mir um und fragte:
    „Warst du eigentlich schon mal im alten Pfarrhaus?“
    „Ja, einmal. Da hatte man es aber noch nicht renoviert
    und es wurde noch nicht an Privatpersonen vermietet“, ließ
    ich ihn wissen.
    Er öffnete das eiserne Gartentor und wir ließen die efeu-
    berankte Natursteinmauer hinter uns. Die Stiegen zum Haus
    waren gerade in Reparatur, deshalb sprang er zuerst auf die
    Vorterrasse, welche die gesamte Vorderseite des Hauses um-
    gab. Er sah auf mich hinab und bot mir seine Hand an. Ich
    legte meine linke Hand in seine und hielt mit der rechten
    meine Kameratasche fest. Mit einem kräftigen Zug half er
    mir hinauf. Als ich meinen Arm wieder zurückzog, bemerkte
    ich, dass meine Hand ganz warm geworden war. Hatte ich im
    Vergleich mit ihm so kalte Hände? Er hielt mir die Tür auf
    und sagte mit hochgezogener Augenbraue:
    „Ladies first!“ Offenbar hatte er wieder zu seinem Charme
    zurückgefunden. Aber so leicht wollte ich es ihm nicht ma-
    chen. Es war unbestreitbar, dass er eine gewisse Wirkung auf
    mich hatte, auch wenn ich nicht wusste, wieso.
    „Gentlemen first“, konterte ich und machte eine klischee-
    hafte Handbewegung. Eigentlich verbeugte ich mich sogar
    leicht. Weshalb ich mir dann doch etwas lächerlich vorkam.
    Er aber schien sich darüber köstlich zu amüsieren und trat
    vor mir ein. Ich fühlte einen kleinen Triumph, der mir mein
    Selbstvertrauen wiedergab. Das musste ich nutzen.
    Er machte kein Licht an, das mir erlaubt hätte, sein Haus
    und seine Einrichtung zu inspizieren.
    33

    „Hier lang“, sagte er in meine Richtung und ich schritt
    durch einen kleinen Durchgang, der in einen größeren, er-
    leuchteten Raum führte. Hier war alles fast genauso einge-
    richtet wie in der eigentlichen Bibliothek. Dunkle Bücher-
    regale, Fotos von Frost, Hemingway und Fitzgerald, zwei
    Schreibtische und ein Wandregal voller Schallplatten, auf
    das ich, wie magnetisch angezogen, zuging.
    „Oh mein Gott!“, schrie ich förmlich.
    „Das darf nicht wahr sein. Eine Schallplattensammlung.
    Ella Fitzgerald, Cole Porter, Frank Sinatra, Johnny Cash,
    Bob Dylan, Duke Ellington“, las ich laut vor.
    „Ich muss gestorben sein und bin im Himmel aufge-
    wacht“, verkündete ich und funkelte ihn mit einem breiten
    Lächeln, aufgeregt wie ein Kind zu Weihnachten, an.
    Er sah mir von Weitem dabei zu, wie ich seine gesamte,
    riesige Plattensammlung durchstöberte, und schien dabei
    genauso aufgeregt zu sein wie ich. Ich glaubte, seinen
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