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Wolfsfeder

Wolfsfeder

Titel: Wolfsfeder
Autoren: Christian Oehlschläger
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im
Kofferraum dabeihatte, in schummriger Dunkelheit zu seinem Häuschen, wie er es
bald nannte, um auf dem Dachboden zu übernachten und mit dem ersten Morgenlicht
wieder aufzubrechen – im Rucksack lediglich die Ration für seinen nächsten
Kontaktmann.
    Im letzten Frühjahr aber war es dann plötzlich und unerwartet vorbei
gewesen mit der einsamen Idylle. Von einem Tag auf den anderen hatte eine
Gruppe junge Männer in unregelmäßigen Abständen das Haus besetzt. Robin war
rechtzeitig auf sie aufmerksam geworden, als er eines Abends die Überreste
eines Lagerfeuers entdeckt hatte. Daraufhin wäre es mit Abstand das Klügste
gewesen, sofort das Weite zu suchen, aber Robin, sonst grundsätzlich ein Freund
des unauffälligen und raschen Rückzugs, zögerte zu seiner eigenen Verwunderung.
Vielleicht hielt ihn die Neugier ab, oder seine Bequemlichkeit, vielleicht
wollte er sein Domizil auch nicht so ohne Weiteres wieder aufgeben. Jedenfalls
entschied er, vorerst zu bleiben und einer gemeinsamen Nutzung, von der
natürlich nur er etwas wusste, eine Chance zu geben. Er konnte ja auch nicht
ausschließen, dass die Gruppe genauso schnell wieder verschwinden würde, wie
sie aufgetaucht war.
    Von da an näherte er sich dem Häuschen nur noch mit größter
Vorsicht, achtete darauf, bei seinen Besuchen keinerlei Spuren zu hinterlassen,
und beobachtete die Eindringlinge bei einigen ihrer Zusammenkünfte aus sicherer
Entfernung oder von einer winzigen Dachluke aus.
    Meist waren es drei bis sechs Männer, deren Alter er von Anfang
zwanzig bis circa Mitte dreißig schätzte; manchmal war einer dabei, der sich
als Anführer aufspielte. Robin verwarf seine anfängliche Vermutung, sie würden
sich an diesem versteckten Ort treffen, um zu kiffen oder andere Drogen zu
konsumieren, schnell wieder. Dazu waren die Typen zu alt und zu erwachsen. Ein
Dreißigjähriger hatte es wohl kaum nötig, sich im Wald zu verstecken, wenn er
einen Joint rauchen wollte. Eher hatte er es wohl mit irgendwelchen Naturfreaks
zu tun oder mit einer Sportgruppe, die das Häuschen als Rastplatz nutzte.
    Robin stellte verwundert und zugleich erleichtert fest, dass die
Männer nichts anderes im Sinn hatten, als herumzusitzen, am Lagerfeuer
Würstchen zu grillen, laute Reden zu schwingen, als gehöre ihnen die Welt und
dieses alte Haus sowieso, und manchmal mit Pfeilen auf eine Zielscheibe zu
schießen, die sie hinterm Haus aufhängten. Später errichteten sie ihren
Schießstand im Schuppen. Ihr Auftreten hatte alles in allem durchaus
Ähnlichkeit mit den Ritualen einer Pfadfindergruppe – nur dass das Alter
nicht stimmte. Jede Wette, dass sie aus allen Wolken fallen würden, wenn sie
von Robins Anwesenheit wüssten, und er beglückwünschte sich zu seiner
Entscheidung, das Feld nicht ohne Weiteres zu räumen.
    Die Typen tauchten höchstens alle paar Tage auf, manchmal einige
Wochen gar nicht, sie kletterten nie auf den Dachboden – wahrscheinlich
wussten sie nicht einmal, dass es ihn gab –, und selbst wenn sie sich
genauer umsehen würden: Robin ließ grundsätzlich nichts herumliegen, auch sein
Rad nicht, und sein Drogenversteck war perfekt: ein ausgehöhlter Dachbalken
enthielt Beutel voller Plastiktütchen mit Koks, Cannabis und Ecstasy.
Seinetwegen hätte diese friedliche Koexistenz auf unbestimmte Zeit so
weiterlaufen können. Dass es nicht so blieb, lag schlicht und ergreifend daran,
dass er die Situation auf fatale Weise falsch eingeschätzt hatte.
    Er war einige Tage in der Tschechischen Republik gewesen und guter
Dinge, als er am Sonntagabend am Häuschen ankam und feststellte, dass er es für
sich allein hatte. Die Pfadfinder – so nannte er die Gruppe bei sich –
waren schon da gewesen, wie er aus der noch warmen Asche des Lagerfeuers
schloss. Robin erklomm wie immer die wacklige Leiter, die er im Flur hinter
einem Haufen alter Kartons und Müll versteckt hatte, und hievte sich und sein
Rad über die Dachluke nach oben, wo er zunächst seine Schätze sorgsam
verschnürte und deponierte. Die Luke ließ er offen, weil er keinen Besuch mehr
erwartete. Er pfiff und drehte sich einen Joint.
    Das Geräusch, das plötzlich von unten zu ihm hochdrang, hätte alles
Mögliche sein können – ein schreiender Vogel, zwei streitende
Eichhörnchen, das Kratzen eines Dachses in seinem Bau –, und normalerweise
scherte Robin sich um derlei erst gar nicht. Was ihn stutzig werden ließ, waren
Nähe und Stetigkeit des Geräuschs. Schließlich kletterte
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