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Wolfsfeder

Wolfsfeder

Titel: Wolfsfeder
Autoren: Christian Oehlschläger
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gleich
den dritten, und ließ den Motor bei durchgetretener Kupplung kurz aufheulen.
Behutsam beschleunigte er das Fahrzeug. Er musste aufpassen, denn die Straßen
von San José de las Matas hatten sich in kleine Kanäle verwandelt, die
rotbraune Wassermassen, jede Menge Schlamm und Unrat mit sich führten.
    Während er die engen Gassen des Zentrums
durchkurvte, umklammerte sie das winzige Amulett, das an einem dünnen Lederband
um ihren Hals hing. Ein gebleichter Singvogelknochen in der Form eines auf den
Kopf gestellten Ypsilons.
    Zusammen mit dem Amulett führte sie ihre
feingliedrige, zur Faust geballte Hand an die Lippen und murmelte nahezu
lautlos ein paar schwer verständliche Worte in haitianischem Creole .
    Ihr Bruder hatte sie trotzdem verstanden;
er schüttelte missbilligend den Kopf.
    * * *
    Der Treffpunkt war leicht zu
finden. Wie in der Anfahrtsskizze beschrieben, stand eine einzelne, sehr
auffällige Eiche am Wegesrand. Der breitkronige Laubbaum hatte 1975 als einer
der wenigen Bäume in der Umgebung der verheerenden Feuersbrunst in der Südheide
getrotzt und thronte nun wie ein Leuchtturm über den neu aufgeforsteten
Jungbeständen.
    Direkt unter dem Baum zweigte ein Sandweg
von dem asphaltierten Wirtschaftsweg ab. Nun sollten es noch zwei Kilometer
gerade Wegstrecke sein.
    Robert Mendelski sah den Mann schon von
Weitem. In einer orangefarbenen Sicherheitsweste über dem grünen Overall war er
gerade dabei, dem Auto vor ihm einen Parkplatz zuzuweisen. Dann war Mendelski
auch schon selbst an der Reihe. Er musste sich mit seinem Wagen den anderen
Fahrzeugen auf der rechten Wegebankette anschließen. Der linke Rand blieb
ungenutzt.
    Mendelski grüßte durch die geöffnete
Seitenscheibe und bedankte sich artig bei dem Mann mit der Weste. Wie er jetzt
aus der Nähe erkennen konnte, zierten dessen linke Wange drei blutige
Schrammen. Aus alter Gewohnheit taxierte er das Alter der Wunde, obwohl er sich
an diesem Morgen nicht im Dienst befand und auch sonst keinerlei Grund für eine
kriminaltechnische Analyse vorlag. Er vermutete, dass die Verletzung von
letzter Nacht stammte, also weniger als acht Stunden alt war.
    Während Mendelski seine Jagdutensilien auf
dem Beifahrersitz ordnete, trafen hinter ihm weitere Fahrzeuge ein. Autotüren
klappten. Ein Hund bellte voller Vorfreude und Ungeduld, wurde aber von seinem
Herrn sofort zur Räson gebracht. Als Mendelski ausstieg, und sich an der
Heckklappe zu schaffen machte, drangen aufgeregte Stimmen an sein Ohr.
    »Wenn ich’s doch sage!«, hörte er einen
neu angekommenen Jäger eifrig bekräftigen. »Gestern Abend auf der Starkshorner
Hirschwiese.«
    »Zwei Stück?«, fragte mit heiserer Stimme ein
älterer Herr, der gerade ein Signalband an seinem Hut befestigte, wie Mendelski
mit einem kurzen Blick über die Schulter feststellte.
    »So wurde es berichtet.«
    »Hab ich auch gehört«, mischte sich da der
Parkplatzeinweiser in das Gespräch ein und trat einen Schritt näher. »Langsam
kommen die Einschläge näher.«
    »Das ist ja keine fünf Kilometer Luftlinie
von hier«, sagte die heisere Stimme. »Für Wölfe ein Katzensprung.«
    Wölfe? Mendelski hob den Kopf. Hatte er
richtig gehört?
    Da stapften die beiden Jäger, die über die
Wölfe palavert hatten, auch schon an seinem Fahrzeug vorbei, grüßten kurz und
verschwanden Richtung Sammelplatz. Rasch schnürte der Kommissar seine
Lederstiefel, streifte den Lodenmantel über, stülpte den Hut auf und folgte
ihnen.
    Auf der Waldwegekreuzung hatte
sich bereits eine stattliche Anzahl Jäger und Treiber versammelt. Obschon der
Oktobermorgen nicht besonders kalt war, loderte am Wegesrand ein
Begrüßungsfeuer, um das sich die Grünröcke scharten. Treiber und Hundeführer
standen in kleinen Gruppen etwas abseits und fachsimpelten.
    Wie es sich gehört, suchte Mendelski
zunächst den Jagdherrn auf. Der war leicht auszumachen, da es sich bei ihm um
einen Zweimeterundfünfmann handelte. Obendrein kannte man Mark von Bartling im
Landkreis Celle als Geschäftsmann und als Politiker, dessen Konterfei alle
naselang in der »Celleschen Zeitung« und dem »Celler Kurier« zu bestaunen war.
Persönlich hatte ihn Mendelski bisher jedoch noch nicht kennengelernt.
    »Ach, der Gast von der Kripo«, erwiderte
von Bartling, nachdem Mendelski sich vorgestellt und ihm für die Einladung
gedankt hatte. »Freut mich, Sie in meinem Revier begrüßen zu dürfen.«
    »Die Freude ist ganz meinerseits.«
Mendelski setzte seinen Hut, den
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