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Wolfsfeder

Wolfsfeder

Titel: Wolfsfeder
Autoren: Christian Oehlschläger
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sah man
von dem Plastikgeschirr ab. Selbst als ihm etwas Suppe auf den Lodenmantel
tropfte, kümmerte er sich nicht weiter darum und löffelte unverdrossen weiter.
    Die Mittagspause währte eine knappe
Stunde. In dieser Zeit wurde das am Morgen gestreckte Wild – ein
Schmaltier, vier Sauen und zwei Rehe – von seinen Erlegern versorgt und
auf einen Anhänger geladen. Mendelski kam hinzu, als von Bartling dem
Schrammengesicht gerade weitere Anweisungen für den Nachmittag erteilte.
    »So wie besprochen, Herr Jagau«, sagte er.
»Zunächst räumen Sie bitte hier auf, sammeln alles ein und löschen das Feuer
gewissenhaft, auch wenn bei diesem Wetter nicht viel passieren kann. Dann
fahren Sie mit dem Wild zum Streckenplatz und bereiten dort alles vor. Sie
kennen das ja. Sind die Schwedenfeuer schon vor Ort?«
    »Nein.« Das Schrammengesicht nahm
militärische Haltung an. »Ich habe sie bei dem Regenwetter noch nicht
aufgestellt, sie liegen bei mir auf der Pritsche im Trockenen.«
    »Sehr gut. Sie wissen ja, um fünfzehn Uhr
dreißig ist ›Hahn in Ruh‹. Da bleibt Ihnen genügend Zeit für die
Vorbereitungen. Also, bis nachher.«
    * * *
    Er ließ sich Zeit.
    Nachdem auch das letzte Auto der
Jagdkorona zum Nachmittagstreiben abgefahren war, setzte sich Karl-Heinz Jagau
an das heruntergebrannte Feuer und genehmigte sich erst mal eine weitere Suppe.
Es war gerade erst fünf nach eins; bis halb vier hatte er alle Zeit der Welt,
um die ihm aufgetragenen Arbeiten zu erledigen.
    Der Forstwirt war froh, dass ihm die
Treiberpflichten am Nachmittag erspart blieben; er fühlte sich wie gerädert.
Nach der durchzechten Nacht mit weniger als einer Stunde Schlaf plagten ihn
heftige Kopfschmerzen und eine fürchterliche Müdigkeit. Obendrein war das
morgendliche Treiben sehr anstrengend gewesen, er hatte mehrere
Nadelholzdickungen und Bestände mit sperrigem Traubenkirschen-Unterstand
durchlaufen müssen. Seine Beine fühlten sich bleischwer an.
    »Autsch!«, fluchte er und hielt sich die
Wange.
    Die Suppe und die Glut des Feuers hatten
ihm ordentlich eingeheizt, sodass ihm der Schweiß von der Stirn über die
Schläfen in die frischen Kratzer gelaufen war. Das brannte wie Feuer.
    Wenn ich nur wüsste, wem ich diese
Schrammen zu verdanken habe, dachte er. Irgendwer muss mir gestern Nacht eine
verpasst haben. Ist das diese Schlampe Doris gewesen?
    Karl-Heinz Jagau konnte sich nur noch
bruchstückhaft an die gestrige Sause in Eschede erinnern. Irgendwann gegen
Mitternacht hatte sein Erinnerungsvermögen ausgesetzt, etwa zu dem Zeitpunkt,
als Piet und Doris mit dem Glenfiddich-Whisky bei ihm aufgetaucht waren. Weiß
der Teufel, wo sie das edle Zeugs aufgegabelt hatten. Jedenfalls hatten sie
sich mächtig einen gelötet.
    Heute Morgen war er in aller
Herrgottsfrühe von seinem klingelnden Handy geweckt worden. Von Bartling hatte
wegen der anstehenden Drückjagd noch allerhand Sonderaufträge für ihn gehabt.
    Er hatte sich völlig verkatert auf der
Couch in Doris’ Zweizimmerwohnung wiedergefunden, mit drei frischen Kratzern im
Gesicht. Wie ein Hühnerdieb hatte er sich aus der Wohnung geschlichen und war
nach Hause gelaufen. Dort hatte er sich rasch umgezogen und war ohne Frühstück
zur Jagd aufgebrochen.
    Sich ins Auto verziehen, den Liegesitz
runterklappen und ein Nickerchen machen – das wär’s jetzt.
    Nein, rief er sich widerwillig zur
Ordnung. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Er erhob sich von der
provisorischen Holzbank und warf den leeren Plastikteller in die Glut. Ich
werde meinen Job machen, und wenn ich fertig bin, haue ich mich noch ein
Weilchen aufs Ohr. Bis die ersten Jäger am Streckenplatz auftauchen, wird es
Viertel vor vier sein.
    Wenig später hatte er das Feuer gelöscht
und alles, was nicht in den Wald gehörte, auf seinem Pick-up verstaut. Nach
einem abschließenden prüfenden Rundumblick setzte er sich hinter das Lenkrad
und fuhr los.
    Um ein Haar hätte er den falschen Weg
gewählt. Gerade noch rechtzeitig bremste er, setzte zurück und bog in den
richtigen Waldweg ein. Er durfte nicht den direkten, kürzesten Weg zum
Streckenplatz nehmen, denn dann wäre er mitten durch das Nachmittagstreiben
gefahren. Um den Jagdbetrieb nicht zu stören, musste er einen großen Bogen
schlagen.
    Als er zehn Minuten später an der
Waldwegekreuzung eintraf, an der der Streckenplatz lag, stutzte er.
    Eigentlich war es seine Aufgabe, das Fichtengrün,
das er am Vortag geschnitten, hier abgeladen und auf einem Haufen
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