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Wolfsfeder

Wolfsfeder

Titel: Wolfsfeder
Autoren: Christian Oehlschläger
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Haus der
Kreinbrinks. Der Hausherr, Konrad Kreinbrink, war allerdings unterwegs. Den
Vormittag hatte er in seiner Kanzlei in Celle verbracht, am Nachmittag war er
zu einem heimlichen Stelldichein mit seiner verheirateten Geliebten im Wald
verschwunden, irgendwo zwischen Groß Hehlen und Scheuen.
    Nur Kai und Finn waren zugegen gewesen.
Die beiden Freunde hatten sich in ihrem gemeinsamen Kummer rasch wieder
vertragen. Sie freuten sich über Danias Besuch. Am Küchentisch sitzend,
unterhielten sie sich ausgiebig, was ihnen mit einem Mischmasch aus Englisch
und Spanisch auch überraschend gut gelang.
    Dania hatte das gesamte Haus
besichtigt – und im Zimmer ihrer Schwester schweigend fast eine halbe
Stunde verbracht. Sie staunte über die großzügigen Räume und das edle Inventar.
Allerdings machte sie kein Hehl daraus, dass ihr ein original niedersächsisches
Vierständerbauernhaus mit seinen kleinen Fenstern viel zu düster war. Beim Gang
um das Haus mied sie den Pool und das Blockhaus. Diesem Ort, an dem ihre
Schwester das Leben lassen musste, wollte sie kein zweites Mal zu nahe kommen.
Er war jetzt für sie tabu.
    Später hatten Kai, Finn und Dania mit dem
Land Rover eine ausgedehnte Spritztour durch Eschede unternommen, um die Orte
zu besuchen, die Yadira besonders gemocht hatte: Die Flohrmühle und die »Drei
von der Kreuzung«, eine Skulpturengruppe, die wie die Windmühle zu der Tour der
»Magischen Orte« gehörte. Sie fuhren zum Holzturm der Johannis-Kirche, ohne
jedoch auf den Grabstein der Dora Klages und ihre traurige Geschichte
hinzuweisen, und beendeten schließlich ihren Ausflug auf dem Festplatz an der
Aschau. Kais Vorschlag, noch kurz nach Eldingen zu fahren, wo Yadira die ersten
Wochen ihres Deutschlandaufenthaltes gelebt und wo sie sich in ihrer
Gastfamilie überhaupt nicht wohlgefühlt hatte, lehnte Dania entschieden ab.
    Der Abschied der drei war herzzerreißend
gewesen. Für Kai und Finn war es ein wenig so, als ob sie sich ein weiteres Mal
von Yadira trennen mussten. Denn die Ähnlichkeit der beiden Zwillingsschwestern
in Aussehen, Gestik und Sprache war frappierend. Erst nachdem Dania den beiden
Freunden das Versprechen abgenommen hatte, sie eines Tages in der
Dominikanischen Republik zu besuchen, war sie nach Celle zurückgekehrt.
    Am darauffolgenden Dienstag hatte sie
überraschend den Wunsch geäußert, Rolf Wiegand zu besuchen. Von Kai und Finn
hatte sie erfahren, wie sehr der Gärtner ihre Schwester gemocht hatte und was
ihm in den letzten Tagen widerfahren war. Ellen Vogelsang hatte sie ins
Krankenhaus begleitet und an Wiegands Krankenbett die Dolmetscherrolle
übernommen.
    Rolf Wiegand, der trotz seiner
Mundverletzung schon wieder etwas sprechen konnte, hatte ihr Besuch sehr
gerührt. Ihm kamen die Tränen, als Dania zum Abschied seine Hände ergriff und
sie lange nicht mehr loslassen wollte.
    Bevor Maike auf dem Flughafenparkplatz den
Motor anließ, legte sie die Unterarme aufs Lenkrad und schaute durch die
Windschutzscheibe in den stürmischen und düsteren Herbsthimmel hinauf. Ein
zweistrahliger Düsenjet, dessen Tragflächen bedrohlich schwankten, startete
gerade und verschwand gen Westen.
    »Da fliegen sie hin«, sagte sie mit einem
betrübten Lächeln. »Die eine tot, die andere todtraurig.«
    Mendelski runzelte die Stirn. »Ist dir
etwa nach Scherzen zumute?«, fragte er.
    »Keineswegs.« Maike seufzte. »Ganz im
Gegenteil. Ich bin ziemlich geplättet. Der Fall ging mir doch ganz schön an die
Nieren. Dir etwa nicht?«
    »Doch, natürlich.« Mendelski lehnte sich
zurück. »Eine bemerkenswerte Person, diese Dania Martinéz«, sagte er. »Wie sie
diese schweren Tage hier gemeistert hat. Respekt. Diesen unbändigen Stolz,
diese Selbstbeherrschung und diese Würde – das findet man bei einer
Achtzehnjährigen nicht alle Tage.«
    »Und ihre Ausstrahlung … Ob sie in
all dem Yadira ähnelte?«
    »Ich glaub schon.« Mendelski schloss die
Augen. »Wahrscheinlich war es genau das, was Yadira – neben ihrer
Lebensfreude, Schönheit und Unbekümmertheit – letztendlich zum Verhängnis
geworden ist.«
    »Wie meinst du das?«
    »Na, die Hogreve sah doch ihre Felle
davonschwimmen, in jeglicher Hinsicht. Sogar in der Küche, ihrer ureigensten
Domäne, hatte Yadira, dieser Tausendsassa, begonnen, ihr Konkurrenz zu machen.
Das konnte sie nicht ertragen. Nach all den Jahren, die sie die Kreinbrinks für
sich allein gehabt hatte, drohte ihr plötzlich Liebesentzug auf ganzer Ebene.
Dazu
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