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Wolfgang Ambros - Die Biografie

Wolfgang Ambros - Die Biografie

Titel: Wolfgang Ambros - Die Biografie
Autoren: Wolfgang Ambros
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Kompositionen kann jeder Trottel nachspielen, der einigermaßen ein Rhythmusgefühl hat und weiß, wie er mit diesen vier Harmonien umgeht. Dementsprechend war er auch meine erste Anlaufstelle. Vor allem das Lied Like a Rolling Stone hatte es mir angetan, wobei das noch eines der schwersten ist. Kaum konnte ich es, habe ich festgestellt, dass ich durchaus in der Lage bin, eigene Harmoniefolgen zu kreieren. Von da weg war ich ein Komponist. Und auf dem Sprung hinaus in die Welt.
    Allerdings springst du aus Wolfsgraben nicht gerade weit. Mein Vater hatte die grandiose Idee, mich ins Wiener Bundeskonvikt zu stecken. Ein Internat. Bundeskonvikt. Klingt schon so anheimelnd, wie Zuchthaus. Aus der Sicht meines Vaters war dieses Etablissement aber wahrscheinlich die einzige Lösung. Womöglich wusste er sich nicht mehr zu helfen, weil mein Bruderdie ganze Aufmerksamkeit beanspruchte und er froh war, mich los zu sein, um sich ganz um den Michl kümmern zu können.
    Für mich war es die Katastrophe schlechthin. Ich war komplett aus meinem Umfeld gerissen, plötzlich umgeben von Stadtkindern, die natürlich ihre Freude gehabt haben an mir. Ich war, wie man so sagt, ein Hillbilly. Ein Tarzan, der aus dem niederösterreichischen Urwald kommt. Ich fühlte mich eingesperrt wie ein Tier im Käfig. Aber draußen wäre es auch nicht besser gewesen, weil ich in Wien völlig verloren war. Ich hätte nicht einmal allein über die Straße gehen können. Ich habe nur mehr geweint. Das Einzige, woran ich mich festhielt, war die Aussicht aufs Wochenende. Am Samstagnachmittag durfte ich heim, bis Sonntag am Abend.
    Das Internat war ein Martyrium und es hat zwei Jahre gedauert. Wobei ich nachgerade Glück hatte. Missbraucht wurde ich nicht, zumindest nicht sexuell. Vielleicht war ich auch nur nicht attraktiv genug für die Erzieher. Oder sie sind auf mich gestanden und haben sich nicht getraut. Bei einem kann ich mir das vom heutigen Gesichtspunkt aus gut vorstellen. Der hatte es auf mich abgesehen, meine Herren!
    Damals kokettierte man noch hingebungsvoll mit dem Nationalsozialismus. Oder schon wieder. Der Krieg war zwanzig Jahre vorbei, da sind sie wieder aufgekommen, die mit dem braunen Gedankengut. Es war Nazi-Time in den sechziger Jahren. Du hast förmlich gesehen, wie viele im Geiste noch die rechte Hand zum Gruß hochgerissen haben. Und der Direktor hat Ansprachen gehalten, wie gefährlich Negermusik ist, und dass dieses Affengetöse flächendeckend verboten gehört.
    Unter der Decke hat man sich diesbezüglich und von den schlüpfrigeren Übergriffen jedenfalls so einiges erzählt. Was jeder für sich getrieben hat, war auch nicht zu überhören. Zu viert in einem Zimmer, da such dir einmal deine Privatsphäre. Trotzdem, mich hat keiner angelangt. Wahrscheinlich hatten sie Angst vor mir. Und mein Nervengeflecht hat sich umgekehrt auch des Öfteren zu einem Bündel Panik verknäuelt. Da waren so richtig böse Wiener Straßenkinder, von klein auf erprobt im Straßenkampf.Ich konnte mit einem Wildschwein kämpfen, aber nicht mit irgendeinem Hooligan aus Favoriten. Nicht weil ich so schwächlich war, sondern weil ich einfach nicht mehr ich sein konnte in dieser zweijährigen Beugehaft namens Bundeskonvikt.
    Irgendwann hat auch mein Vater gesehen, dass mich das auffrisst, und er hat mich erlöst. Ich kann mir gut denken, dass ihm meine Mutter die Augen geöffnet hat. Ich wurde für reif befunden, das Internat zu verlassen und ab nun allein von Wolfsgraben aus, wo wir noch einige Zeit in der aufgelassenen Schule gewohnt haben, Tag für Tag nach Wien zu fahren. Und zwar ins Gymnasium in die Astgasse. Damit ist eine neue Ära angebrochen.
    Dass ich um fünf in der Früh aufstehen musste, hat mich überhaupt nicht gestört. Ich bin nach Untertullnerbach geradelt, mit dem Zug nach Hütteldorf gefahren und dann in die Stadtbahn umgestiegen. Es war eine kleine Weltreise und ich war jeden Tag der Erste in der Klasse, eine Dreiviertelstunde vor dem Läuten. War mir alles lieber als das Internat. Ich habe wieder Anschluss gefunden zu meinen Freunden daheim, der Kontakt war ja ziemlich eingeschlafen, weil ich die ganze Woche nicht da war. In der dritten Klasse habe ich zu rauchen angefangen und zwei Fünfer in Mathematik und Physik kassiert. Was keine unmittelbare Folge vom Nikotin war, sondern mit meinem schulischen Engagement zu tun hatte. Bis dahin war ich kein schlechter Schüler, jetzt waren meine Leistungen nicht so, dass man sagt:
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