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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt
Autoren: Robert Pfaller
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nämlich immer dann, wenn das, was sonst eklig, unangenehm oder unanständig wäre, zu etwas feierlich Gebotenem und dadurch triumphal lustvoll Erfahrbaren gemacht wird.
    8 .
    Um dieses für die lustvolle Erfahrbarkeit entscheidende Gebot zu erzeugen, ist eine gesellschaftliche Situation notwendig. Man kann zwar auch alleine feiern, aber wahrscheinlich nur dann, wenn man noch eine lebhafte Erinnerung an geselliges Feiern hat und dadurch für sich selbst einen solchen außerordentlichen Moment der Eleganz herzustellen vermag. Meist jedoch verblasst diese Erinnerung schnell, und darum verwahrlosen einsame Menschen in dieser Hinsicht oft innerhalb kurzer Zeit. Sie liefern dann den anschaulichen Beweis für die Kehrseite dieses Zusammenhanges, den der Philosoph Alain in seiner Bemerkung formuliert hat, dass der Unhöfliche auch noch dann unhöflich ist, wenn er alleine ist. [8] Nur ein glücklicher Einbruch von Gesellschaft kann hier Abhilfe schaffen: Wenn eine Gruppe von Freunden vorbeikommt und mich aus meinem einsamen Abend reißt, um gemeinsam etwas trinken zu gehen, dann gelingt es mir, mich wieder meiner mondänen Möglichkeiten zu besinnen.
    Die Gruppe aktiviert und stärkt den individuellen Respekt vor dem Gebot des Feierns. Dies darf allerdings nicht mit jenem »Gruppenzwang« verwechselt werden, wie er für intime, sektenartige Gemeinschaften charakteristisch ist. Die feiernde Gruppe erzeugt das Gegenteil: Sie produziert einen nicht-intimen, öffentlichen Moment. Während
Gemeinschaften
ihren Zusammenhalt durch die übereinstimmenden Überzeugungen ihrer einzelnen Mitglieder gewinnen, ist bei
Gesellschaften
der Träger ihrer bestimmenden Einbildung mit keinem der Mitglieder identisch; er ist außerhalb davon angesiedelt. Nicht die Individuen sind von dem Spektakel überzeugt, das sie inszenieren. Die Gruppe fühlt sich vielmehr einer anderen Instanz, einer Beobachtung von außen, verpflichtet, der sie Haltung schuldet. Bezeichnend dafür ist das – bereits im Zitat von Juvenal in Erinnerung gerufene – Gefühl der
Scham
: Es wäre schändlich, nun nicht mitzukommen, die Einladung auszuschlagen, keine Runden auszugeben, den anderen nicht einige der eigenen Zigaretten anzubieten.
    Genau dieses Schamgefühl lässt Gruppen zu etwas größerem als bloßen intimen Gemeinschaften mit eigenen Regeln und Zwängen werden – nämlich zu Gesellschaften; es ermöglicht ihnen mondäne Eleganz: In den Augen der Welt, in deren Rampenlicht man zu stehen meint und von der man sich betrachtet fühlt, hat man das Gesicht zu wahren. Bei diesem Augenschein handelt es sich klarerweise um eine Fiktion; um eine Einbildung, die von keinem einzigen der Anwesenden geglaubt wird. Gerade deshalb aber muss der Augenschein gewahrt werden: darin ist die Gruppe solidarisch. Sie steckt (nach den Worten von Octave Mannoni) sozusagen »unter einer Decke« [9] und führt jene unsichtbare, virtuelle Beobachtungsinstanz, jenen naiven Beobachter, hinters Licht, der dem gebotenen Schauspiel Glauben schenkt.
    9 .
    Dass die Höflichkeit eine Einbildung darstellt, die von niemandem der Anwesenden geglaubt wird, hat Immanuel Kant hellsichtig erkannt. [10] Diese Struktur einer Täuschung ohne wirkliche Getäuschte liegt sämtlichem Verhalten zugrunde, das den öffentlichen Raum als einen mondänen, eleganten und vom privaten, intimen Raum verschiedenen definiert. Darum ist das Verhalten von Menschen im öffentlichen Raum, wie Richard Sennett betont hat, immer ein Stück Schauspielerei; ihm liegt immer ein bestimmtes »als ob« zugrunde (s. Sennett [ 1974 ]: 27 ff.; 60 ). Dieses »als ob« unterscheidet nicht nur den »public man« Sennetts von der »private person«; es trennt auch den mondänen, mit den Fragen der Gesellschaft als ganzer beschäftigten »citoyen« bzw. die »citoyenne« der französischen Revolution von dem nur seinen ökonomischen Privatinteressen folgenden »bourgeois« bzw. der »bourgeoise«.
    Auch die Großzügigkeit des Feierns gehört zu diesem Typus von nicht geglaubtem »als ob«: Als Gastgeber muss man, wie Bataille bemerkt, so tun, als ob der Champagner in unendlichen Strömen fließen könnte (und müsste – s. Bataille 1986 : 201 ). Und in jeder Schachtel Zigaretten befinden sich einige, die man nicht selbst rauchen wird: Man muss sie anderen anbieten (etwa im Gegenzug für die Gabe von Feuer), das heißt: so tun, als ob sie allen gehörten. [11]
    Nicht immer ist das »als ob«, das erzeugt und zwingend
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