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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt
Autoren: Robert Pfaller
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Bandhauer, Mladen Dolar, Conny Habbel, Marlene Haderer, Carl Hegemann, Thomas Hübel, Ursula Hübner, Eva Kadlec, Jso Maeder, Peter Möschl, Urs Richli, August Ruhs, Josef Shaked, Ernst Strouhal, Malou Thilges, Christiane Voss, Gerhard Zenaty, Slavoj Žižek und Alenka Zupančič.

Einleitung Wofür es sich zu leben lohnt.
Und was uns das vergessen lässt
    1 . Wofür es sich zu leben lohnt
    1 .
    In der Kultur westlicher Gesellschaften hat etwa Mitte der 90 er Jahre etwas stattgefunden, das man – mit einem Wort von Karl Marx – als einen Wechsel der »Beleuchtung« [1] beschreiben möchte. So wie im Theater, wenn noch dieselben, bereits vertrauten Dinge auf der Bühne stehen, aber in einem ganz anderen Licht plötzlich fremd oder bedrohlich wirken, war es mit einem Mal auch in der Kultur: Objekte und Praktiken wie Alkoholtrinken, Rauchen, Fleisch essen, schwarzer Humor, Sexualität, die bis dahin glamourös, elegant und großartig lustvoll erschienen, werden seither plötzlich als eklig, gefährlich oder politisch fragwürdig wahrgenommen. Diese abrupte Veränderung ins Gegenteil erinnert an bestimmte Erfahrungen in der Liebe, wo sich ja ebenfalls oft von einem Moment auf den anderen ein solcher Wechsel der Wahrnehmung ereignet, der bewirkt, dass das soeben noch Geliebte plötzlich nur noch als etwas Hassenswertes erlebt werden kann – und zwar mit dem Gefühl völliger Selbstverständlichkeit: Es ist
ganz klar
, dass man das nur hassen kann; ebenso, wie es zuvor
ganz klar
war, dass man es nur lieben konnte.
    Und genau wie im Beleuchtungswechsel der Liebe sind es auch in dem der Kultur bezeichnenderweise genau dieselben Eigenschaften, die als Ursache einmal für die Liebe, dann für den Hass genommen werden: Erst ist die geliebte Person wunderbar verständnisvoll, dann unerträglich besitzergreifend; oder erst großartig autonom, dann schrecklich flatterhaft; oder erst zauberhaft liebenswert, dann unerträglich infantil. Diese Veränderung der Leidenschaften ergibt sich also nicht, wie man hätte glauben können, aus der Entdeckung neuer, bisher unbekannter Seiten an der geliebten Person. Es ist nicht so, dass man zuerst begeistert war von der Klugheit der Person, und erst später bemerken musste, dass sie unfähig ist, pünktlich zu sein. Sondern wenn sich etwas an den Affekten ändert, dann dadurch, dass die zuerst positiv wahrgenommene Eigenschaft selbst plötzlich unerträglich wird: Was zunächst als Klugheit geschätzt wurde, führt nun zu dem Urteil, der obergescheite Andere habe immer recht und wisse alles besser; das ist plötzlich das Schlimme. [2]
    Auch bei den Objekten und Praktiken der Kultur, die vom Zustand hoher Wertschätzung in den der angeekelten Verfemung verfielen, war es ein und dieselbe Eigenschaft, die einmal Liebe und dann Hass auf sich zog. Dass das Rauchen plötzlich gehasst wird, ist nicht das Ergebnis eines Erkenntnisgewinns, der uns darüber informiert hätte, dass dies kein harmloses Vergnügen, sondern vielmehr eine gesundheitsgefährdende Sache ist. Wie Richard Klein in seinem schönen Buch »Cigarettes are Sublime« scharfsinnig bemerkt, haben wir nicht nur immer schon gewusst, dass Rauchen schädlich ist; mehr noch: Wenn wir das nicht gewusst hätten, so Klein, dann hätten wir niemals Zigaretten geraucht – weil es nämlich »gerade ihre Schädlichkeit ist, die sie erhaben macht« (Klein 1995 : 279 ).
    2 .
    Entscheidend in dieser Bemerkung ist das Wort »erhaben« (»sublime«). Damit hat Klein den Schlüssel zu jener einen, zentralen Eigenschaft geliefert, aufgrund deren viele Dinge in der Kultur einst geliebt wurden und nun gehasst werden: Es gibt hier immer etwas Negatives – im Fall der Zigaretten zum Beispiel ihre Schädlichkeit –, das zugleich (in einer anderen Beleuchtung) als Attraktion wirken kann. Der Wechsel der Beleuchtung ändert hier, genau wie in der Liebe, nichts an der Sichtbarkeit der einen, entscheidenden negativen Eigenschaft, sondern nur etwas an ihrer Bewertung bzw. ihrer affektiven Besetzung.
    Dies entspricht der Lehre, die Philosophen wie zum Beispiel Edmund Burke und Immanuel Kant vom sogenannten »Erhabenen« gegeben haben: Das faszinierende Erhabene ist immer eine solche, in einem anderen Licht wahrgenommene negative Eigenschaft. Unter diesen bestimmten Bedingungen bzw. Beleuchtungen aber wird gerade diese negative Eigenschaft außerordentlich lustvoll: Sie ruft, wie Kant schreibt, Wohlgefallen hervor – und zwar ein »gegen alles Interesse
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