Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition)
Autoren: Mira Magén
Vom Netzwerk:
ihn zu finden. Einstweilen waren es die Tage derSommerferien, und der Kindergarten stand Jungen mit und ohne Kipa offen.
    »Ich habe Verwandte bei der Polizei«, sagte er zu dem ersten Mädchen, das ihm entgegenkam.
    »Na und? Hab ich auch.«
    Er glaubte ihr, und seine Errungenschaft verlor ihr Monopol. Voll Trauer wegen seines unschuldigen Kummers schloss ich die Kindergartentür hinter ihm und ging zum Laden, der früher meinem Vater gehört hatte, nun stand ich an seiner Stelle hinter der Theke und verkaufte Brot aus Korn, das nach seinem Tod angebaut und geerntet worden war.
    Um vier Uhr werde ich Nadav vom Kindergarten abholen, ich werde ihm in einem anderen Laden ein Eis kaufen und ihn Karussell fahren lassen. Er wird sich nach Madonna erkundigen, er wird kleine russische Hure sagen, er wird dem Gezwitscher in den Baumwipfeln lauschen, er wird Vögel suchen, die keine Sünde kennen, und mit seinen Schuhen Größe achtundzwanzig Abdrücke auf den Wegen des Kindergartens hinterlassen.
    Amjad, mein Angestellter, der seit dem Tag, als wir ins Dorf umgezogen waren, für den Laden zuständig und derjenige war, der morgens die Tür entriegelte und sie abends abschloss, saß auf einer Kiste und aß ein trockenes Brötchen.
    »Alles in Ordnung, Amjad?«
    Sein Mund bejahte es, seine Augen schwiegen. Im Radio sagten sie: »Hier ist die Stimme Israels aus Jerusalem, es ist acht Uhr. Ein Terrorist versuchte, sich in die Luft zu sprengen …« Er ließ das Brötchen sinken und hörte auf zu kauen, und ich räumte das Brot von gestern weg und machte Platz für das Brot von heute, und inzwischen hörte das Radio auf mit Terroristen und mit dem Wetter und ging zuLiedern über. »Du bist mein Land für immer verloren …«, die Melodie war schön, die Worte waren schön, Jardena Arazi war schön. »Gib mir Zeit, reich mir die Hand …« Ach, Jardena, wo lebst du eigentlich? Den, der dir die Hand gibt, wird man verrückt nennen.
    Ich lehnte mich an den Türstock, die Sonne streichelte die Kiste mit den Brötchen, brachte die frische Brotkruste zum Schwitzen. Man müsste sie in den Schatten schieben, bevor das Brot austrocknete, man müsste alles in die Regale räumen, aber meine Beine waren wie festgewurzelt auf der Schwelle und bewegten sich nicht. Noch immer junge und schöne Beine, sie waren bereits zu vielen Orten gelaufen, und jeder Ort hatte sie zu diesem Lebensmittelgeschäft zurückgebracht. Viele tausend Male waren meine Absätze durch die Flure der Universität geklappert, ein erstes Staatsexamen in Volkswirtschaft, ein zweites Staatsexamen in Betriebswirtschaft. Eine große Bank hatte mir einen vielversprechenden Vertrag angeboten, ich befasste mich mit Profitplanungen, man hatte mir ein eigenes Zimmer mit einem Fenster gegeben, und im Fenster ein Stück Himmel, und ich hatte einen Tisch und einen Drehstuhl, ein ansehnliches Jackett und hervorragende Aufstiegsmöglichkeiten. Und dann starb mein Vater, und der Laden stand bereit wie eine heiratsfähige Frau. »Ich nehme ihn«, sagte ich, und alle, die es hörten, fingen an zu lachen. Der Bankdirektor rief mich in sein Büro. »Was ist mit Ihnen? Ein Lebensmittelgeschäft? Eine aussterbende Gattung in der wirtschaftlichen Evolution. Wer kauft heute in einem Lebensmittelgeschäft? Wer verkauft heute in einem Lebensmittelgeschäft? Wo leben Sie denn? Eine Frau, die sich mit rationalem Entscheidungsverhalten beschäftigt,  mit der Anwendung in der Spieltheorie, soll ihren guten Jobverlassen und in einem Laden Eier und Milch verkaufen?« Der Bankdirektor war bibelfest, er kannte auch einiges von Alterman und Bialik und suchte nach Möglichkeiten, sich zu profilieren. Er richtete sich auf, schob sich die erloschene  Pfeife in den Mund und sagte: »Zeigen Sie mir einen vernünftigen Menschen, der seiner Karriere den Rücken kehrt, der sich einfach umdreht und Kekse verkauft.« Er legte vorsichtig und sicher seine Direktorenhand auf meine Schulter und sagte, er hoffe, ich machte nur Spaß und es würde sich noch herausstellen, dass ich die beste Show in der Stadt abzöge, und dann lachte er, erst vorsichtig, dann laut.
    Nur Gideon lachte nicht. Der Laden, der sich anbot, fesselte ihn zu einem Zeitpunkt, als er sich schon in der Phase befand: »Wisse, woher du kommst und wohin du gehst.« Zu der Zeit, als er schon nicht mehr darauf achtete, dass sein schwarzer Talar tipptopp war und ihn nachlässig über dem Arm trug, als ihm ein strahlend weißes Hemd und eine korrekte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher