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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden
Autoren: Patrick Findeis
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sieht er Theresa stehen. Sie schaut herab zu ihm. Sie winkt, bedeutet ihm, zu warten. Sie trägt eine Plastiktüte mit der Aufschrift des Kaufhauses in der Hand, als sie aus dem Haupteingang tritt. Ihr Lächeln, als freue sie sich wirklich, ihn zu sehen.
    Wo kommen Sie her? fragt sie, und er hebt die Schultern und lässt sie wieder fallen.
    Ich nehm Sie mit zurück, sagt sie, kommen Sie.
    Ich hab noch was zu erledigen hier, sagt er.
    Bei uns draußen blüht jetzt alles, sagt sie: mein Mann schwärmt von Ihrer Arbeit.
    Schön für Sie, sagt er.
    Es ist wirklich toll, sagt sie.
    Ich hab Ihnen ja gezeigt, wie Sie gießen müssen, sagt er.
    Sie schweigt und betrachtet ihn.
    Hat sich der Oleander erholt? fragt er.
    Sie können ja rauskommen zu uns zum Kaffee und nachschauen, sagt sie.
    Bei dem warmen Wetter jetzt, sagt er, dreimal am Tag gießen – lieber zu viel als zu wenig.
    Mein Wagen steht am Bahnhof, gleich hier, sagt sie: begleiten Sie mich?
    Und kein Regenwasser zum Gießen nehmen, sagt er: sonst wird der Boden im Kübel sauer, das ist wichtig.
    Sie sagt: Sonst fährt ja auch noch ein Bus – nimmt eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Handtasche und sucht nach dem Feuerzeug. Sie geht in die Knie, legt die Handtasche auf dem Boden ab, eine Haarbürste, ihren Schlüsselbund, eine Packung Tampons nimmt sie aus der Tasche und verteilt alles auf dem Boden daneben, das Feuerzeug findet sie nicht. Mein Vater stellt sich vor, wie sie die Tampons in die Handtasche geworfen hat, bevor sie aus dem Haus ging, wie sie fluchte, weil sie ihre Regel bekommen hat am Morgen.
    Sie haben kein Feuer? fragt sie, räumt alles zurück in die Tasche und richtet sich auf, die Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt. Er schüttelt den Kopf.
    In meinem Wagen ist so ein Ding zum Reindrücken, sagt sie: kommen Sie jetzt mit?
    Ich muss in die andere Richtung, sagt er, und sie geht ohne ein weiteres Wort.
    Mein Vater sieht ihr hinterher. Wie sie die Hüften wiegt bei jedem Schritt, er stellt sich ihren Hintern, der fast zu groß ist für ihren schmalen Körper, unter dem knisternden Stoff ihres Kleides vor. Die feine Falte am Übergang der Oberschenkel. Ob sie das mit Absicht mache, fragt er sich, so mit dem Arsch wackeln.
    Mein Vater geht nicht mehr ins Bett, hat er die Zeitungen ausgetragen. Er sitzt am Küchentisch und trinkt Kaffee. Das Ticken der Küchenuhr schleppt ihn durch den Vormittag, bis seine quälend volle Blase ihm fast den Atem nimmt und er aufsteht und aufs Klo rennt. Am Wohnzimmerfenster hält er Ausschau nach dem Wagen von Theresa, die auf ihrem Weg in die Stadt hier vorbeikommen muss. Über dem Asphalt flimmert die Luft, das Gras in den Vorgärten wird gelb, die sinkende Sonne lässt die Schatten der Häuser wachsen. Abends liegt er wach und glaubt, mit geschlossenen Augen das Licht schwinden zu spüren vor dem Schlafzimmerfenster, bis die Nacht und die Zeit keine Rolle mehr spielen.
    Nach einer Woche verschläft er das erste Mal. Um sieben erst beginnt er mit seiner Runde. Mit gesenktem Kopf läuft er von Haus zu Haus, sich selbst verfluchend und die Räder des Einkaufstrolleys, die unter der Last der Zeitungen rattern. Er schämt sich, weil die Leute jetzt wissen werden, dass er es ist, der die Zeitung zu spät gebracht hat; dass sie nicht beim Abonnentenservice anrufen werden, um sich zu beschweren, weil sie ihm nicht schaden wollen, weil sie sich: Der arme alte Mann! denken werden und den Rest dazu. Dass er das alles nicht tun müsse, denkt er und weiß dabei, dass er nicht anders kann. Mit rotem Kopf rennt er durch Gefrieß und gibt dem Einkaufstrolley einen Tritt und wirft ihn im Vorbeigehen in einen Container vor einer Bauruine, nachdem er die letzte Zeitung ausgetragen hat. Nach zehn Metern dreht er um und holt den Trolley wieder aus dem Container. Die Turnschuhe, die er sich im Supermarkt gekauft hat, drücken. Die Blase an seiner Ferse platzt auf, er spürt die Feuchtigkeit des Wundwassers auf der Haut, im Socken. Er muss langsamer gehen, obwohl er unbedingt etwas trinken muss, er bekommt kaum noch Luft durch den zähen Schleim in seinen Bronchien – er spürt die Knöchelchen, Sehnen, Gelenke in seinen Beinen und Füßen und wie sie funktionieren, wie sie sich abgenutzt haben. Früher, denkt er, was ich früher konnte. Als er die Haustür aufschließt, hört er sein Telefon klingeln. Er weiß, dass ich es nicht bin, und geht langsam durch den Flur ins Wohnzimmer, wo der Apparat steht. Das Telefon
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