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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
Autoren: Mario Levi
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Sorgen, Erwartungen und Hoffnungen, die uns am Leben hielten … Ich konnte diese Entfernungen ertragen. Irgendwie wußte ich, daß wir sogar trotz dieser Entfernungen füreinander irgendwo vorhanden waren … Das wußte ich nun.
    Şebnem und Necmi jedoch sah ich lange Zeit nicht. Dieses Abstandhalten gehörte zu unserer Vereinbarung. Der Vorschlag war von mir gekommen, und sie hatten zugestimmt. Sie mußten diese Beziehung möglichst ganz allein leben, indem sie aufeinander hörten und von Einflüssen fernblieben, die sich unnötig in ihr Leben einmischten. Meinen Vorschlag hatte ich ihnen zwei Tage nach jener gemeinsamen Sonntagnacht gemacht, abends in einem Teegarten in Ortaköy, schon in der Stimmung der bevorstehenden Reise auf die Insel. Necmi wollte zuerst Einspruch erheben, doch als er sah, wie Şebnem schwieg, entschied er sich innezuhalten, besser, sich zurückzuhalten. Woher kam diese Schweigsamkeit? … In jenem Augenblick hatte ich diese Frage nicht stellen können. Es genügte mir zu sehen, daß auch sie an die Richtigkeit meines Vorschlags glaubte. Woher hätte ich wissen sollen, was Şebnem wirklich fühlte, wenn sie sich so verhielt? … Sicherlich würde ich im Laufe der Zeit erfahren, was ich wissen mußte. Die Zeit zeigte uns ja immer mehr uns selbst …
    Nun gut, warum wünschte ich mir diesen Abstand von ihnen? … Wenn ich wollte, konnte ich mir viele Gründe und Möglichkeiten ausdenken. Vielleicht wollte ich sie allein lassen, damit sie sich in der Abgeschiedenheit besser aneinander gewöhnten, weil ich dachte, ich würde sie durch meine Anwesenheit unnötig beeinflussen. Vielleicht wollte ich mich wegen meiner Gefühle für Şebnem fernhalten von der Wirklichkeit dieses neuen Bildes. Vielleicht wollte ich, indem ich sowohl mir als auch ihnen die Vornehmheit bewies, sie allein zu lassen, selbst Kraft gewinnen. Alle diese Möglichkeiten konnten zutreffen und auch noch andere, denen ich mich nicht zu stellen wagte … Ich erwartete von mir damals einfach nur, mich von ihnen fernzuhalten, soweit wie möglich fernzuhalten …
    Meine Erzählung hätte hier in dieser Weise enden können … Ein jeder war ja dazu verurteilt, in seinem eigenen Winkel zu leben, innerhalb seiner Grenzen, die er selbst errichtet hatte … Doch so kam es nicht. Was ich dann erlebte und erleben mußte, veränderte den Lauf der Erzählung vollständig. Was ich erlebte, führte im Grunde dazu, daß diese Erzählung einen wesentlich größeren Stellenwert bekam. Wollte ich auch dies sehen? … Noch immer kann ich mich nicht entscheiden. Trotz meiner Trauer, trotz des Leids, das ich heute erlebe, kann ich mich noch immer nicht entscheiden … Wir mußten also wohl auch dies noch ertragen … Es war an einem Freitagmorgen. Inzwischen waren fast drei Monate vergangen. Ich befand mich nach einer schlimmen, sehr schlimmen Nacht im Laden. Ich hatte einen Traum gehabt. Einen Traum, der anfangs vergnüglich zu sein schien, sich aber immer mehr zum Albtraum entwickelte … Wir waren als ›Truppe‹ auf den Rummelplatz gegangen und fuhren in diesen schnell rotierenden Gondeln. Wir hatten Spaß miteinander, waren lustig. Dann plötzlich sah ich, wie Şebnem hinunterfiel. Während sie fiel, schien sie mir noch lächelnd zuzuwinken. Doch niemand merkte etwas. Alle lachten weiter. Ich aber konnte keinen Ton herausbringen. Unsere Gondeln drehten sich weiterhin äußerst schnell. Ich wollte schreien, um diese Drehbewegung anzuhalten, doch irgendwie konnte ich nicht schreien. Dann wachte ich auf. … Am liebsten hätte ich sofort zum Telefon gegriffen, um Necmi anzurufen. Doch das ging nicht. Der Tag brach gerade erst an, und ich wollte mich nicht in ihr Leben einmischen. An jenem Tag war ich im Laden, immer noch unter dem Eindruck des Traumes. Ich fühlte mich sehr müde und dachte sogar daran, früher nach Hause zu gehen, um mich auszuruhen. Plötzlich läutete mein Handy. Necmi rief an. Aufgeregt nahm ich das Gespräch an. Seine Stimme hatte einen Ton, der die Aufregung noch steigerte. Daß er nach dieser langen Zwischenzeit nicht zuerst nach dem Befinden fragte, ließ seine Worte grausig klingen.
    »Wir müssen uns sofort treffen! … Sofort! …«
    Ich verlangte natürlich keine Erklärung. Wenn er in dieser Weise anrief, gab es ganz sicher ein Problem. Ich fragte lediglich, wohin ich kommen sollte. Er nannte mir den Namen eines Cafés neben der Moschee von Teşvikiye. Dort hatten wir viele Male gesessen. Ich sagte, ich würde sofort
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