Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
Vom Netzwerk:
das Gesicht mit der Hand und schlief weiter.
    »Wenn ich den Hurensohn erwische, der mir meinen Generalschlüssel geklaut hat!« Grummelnd hängte der Schaffner die Brandaxt in ihre Halterung zurück. Dann wandte er sich an Mauro wie an einen Zeugen: »Eine gute, solide Tür war das … So welche werden heutzutage gar nicht mehr gemacht.«

Fortaleza
    Avenida Tibúrcio Cavalcante.
    Querido
Papa!
    Mach dir kein Sorgen, es ist nichts Schlimmes. Aber ich bräuchte einen kleinen Zuschuss, nur für diesen Monat, zweitausend Dollar … (Schick mir am besten einen Scheck, du weißt doch, ich lasse mir das immer schwarz von meinem griechischen Freund aus Rio tauschen …) Ich erklär’s dir: Meine Freundin und ich wollen in der Altstadt eine nette kleine Kneipe aufmachen, nicht weit vom Strand. Was für junge Leute, mit Livemusik jeden Abend (Thaïs kennt alle Musiker der Stadt!), einen Ort, wo Studenten und Künstler gern hinkommen. Wenn alles läuft wie geplant, wollen wir sogar Gedichtabende und Ausstellungen veranstalten. Ist doch genial, oder?
    Ich habe auch schon was gefunden, aber da bräuchten wir genau die Summe, um die ich dich bitte, die Hälfte als Miete für den ersten Monat, den Rest für Tische, Stühle, Getränke usw. Alle, denen wir davon erzählt haben, sind total begeistert, die Kneipe wird laufen wie von selbst. Außerdem hab ich mir dreimal die Tarotkarten gelegt, und dreimal ist der Wagen herausgekommen. Das will was heißen!
    Ich hör dich schon mosern wegen meinem Studium … Keine Sorge, ich komme jetzt ins dritte Semester Ethnologie, und Thaïs und ich wechseln uns in der Kneipe ab, da hab ich alle Zeit der Welt für die Uni, wenn das Semster wieder anfängt.
    Mama hat mir geschrieben, dass sie ins Pantanal fährt, eine Expedition wegen irgendwelcher Fossilien. Ich bin total neidisch!
    Ich hoffe, dir geht es besser und du quälst dich nicht zu sehr; du verstehst schon … Ich versuche, demnächst mal bei dir vorbeizukommen, versprochen.
    Wie geht es Heidegger?
    Ich umarme dich,
beijo, beijo, beijo
!
    Moéma
     
    Die königsblaue Nacht, die alles jenseits des bodentiefen Wohnzimmerfensters füllte, duftete stark nach Jod und Jasmin. Moéma las noch einmal, was sie eben geschrieben hatte; sie saß nackt auf der großen Strohmatte, die den Boden bedeckte, und klapperte mit den Zähnen. Ein Frösteln überlief ihre Wirbelsäule, sie schwitzte stark. Dagegen musste sie rasch etwas unternehmen. Sie faltete den Brief, tat ihn in einen Umschlag, klebte eine Marke darauf und schrieb die Adresse ihres Vaters, sorgsam darauf achtend, dass sie nicht zu sehr zitterte. Wieder im Schlafzimmer, stand sie einen Augenblick auf der Schwelle und betrachtete Thaïs, die in den weißen Laken lag, ebenfalls nackt. Sie hatte die Augen geschlossen; ihre schweren, hinreißenden Formen wurden von denselben eisigen Schaudern erschüttert, die Moéma immer wieder überliefen. Das durch den Fensterladen fallende Mondlicht überzog sie mit friedlichen Streifen.
    Moéma setzte sich auf den Bettrand und griff in das volle Haar der jungen Frau.
    Thaïs schlug die Augen auf. »Fertig?«
    »Ja, geschafft. Der schickt mir die Knete auf jeden Fall. Er hat mir noch nie was abgeschlagen.«
    »Ich bin ziemlich schlimm drauf, weißt du.«
    »Ich auch, ich kümmer mich drum.«
    Moéma drehte sich zum Nachttisch um und klappte die kleine ebenhölzerne Dose mit dem Koks auf. Mit einem Kartonstreifen nahm sie eine Prise des Pulvers heraus und ließ es in einen Esslöffel rieseln; in den Löffel, dessen zurechtgebogener Griff ihn tadellos in der Horizontalen hielt. Sie fand es zu viel Pulver und gab ein wenig in die Dose zurück, dann machte sie sich daran, den Rest in etwas Wasser aufzulösen, das sie mit einer Pipette dazutröpfelte.
    »Du passt aber auf, ja?«, flüsterte Thaïs, die ihr zusah.
    »Klar. Ich will ja nicht sterben und schon gar nicht dich umbringen«, sagte Moéma und erhitzte den Inhalt des Löffels über der Flamme eines Feuerzeugs. »Ich bin nicht so verrückt, wie ich aussehe.«
    Nachdem sie die Lösung aufgezogen hatte, schnippte Moéma ein paarmal an die Spritze, die sie schon vor vier Stunden benutzt hatten; sie drückte leicht auf den Kolben, um sicherzugehen, dass keine Luft mehr im Zylinder war, dann hob sie den auf dem Boden liegenden Bademantelgürtel auf.
    »Los geht’s, Süße!«
    Thaïs richtete sich auf und hielt ihren pummeligen Arm Moéma hin, die den Gürtel zweimal um den Bizeps schlang und zuzog, bis
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher