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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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er feststellen, dass seine Beine geheilt waren und der Bruch verschwunden!
    Der Chirurg schob sich den Kneifer auf der Nase hin und her, doch er musste das Wunder bestätigen: Zu seinem größten Erstaunen fand er nur noch Narben & keinerlei Spur einer Entzündung mehr vor, die seinem Patienten doch gewisslich den Tod gebracht hätte … Man wird folglich die Verehrung begreifen, die Athanasius sein Lebtag lang für Unsere Heilige Muttergottes hegte, die ihm bei solcherlei Prüfungen hatte beistehen und somit zeigen mögen, dass Kircher für ein Leben im Dienste Gottes und in der Gesellschaft Jesu vorherbestimmt war.

Unterwegs nach Corumbá
    »Der Zug des Todes«.
    Auf der unbequemen Bank des Zugabteils sitzend, betrachtete Elaine die draußen vorbeiziehende Landschaft. Sie war eine schöne Frau von fünfunddreißig Jahren, mit langem, gewelltem Braunhaar, das sie zu einem lockeren, kunstvoll lässigen Knoten gesteckt hatte. Sie trug eine Safarijacke aus beigem Leinen und einen dazu passenden Rock und saß mit sehr knapp übereinandergeschlagenen Beinen da, nicht der Tatsache bewusst – oder nicht darauf achtend –, dass sie so ihren gebräunten linken Oberschenkel etwas mehr entblößte, als schicklich war. Sie rauchte eine lange Mentholzigarette, mit jenem Quäntchen an Geziertheit, das ihren Mangel an Erfahrung damit verriet. Auf der anderen Bank, ihr fast gegenüber, hatte Mauro es sich bequem gemacht: Die gespreizten Beine bis zur Sitzreihe vis-à-vis ausgestreckt, die Hände im Nacken gefaltet und den Kopfhörer auf den Ohren, hörte er seine Caetano-Veloso-Kassette und wiegte den Kopf im Takt der Musik. Er nutzte den Umstand, dass Elaine aus dem Fenster blickte, und betrachtete hingerissen ihre Beine. Nicht jeden Tag hatte man Gelegenheit, die private Anatomie der
professora
von Wogau so ungestört zu bewundern, und viele Studenten der Universität von Brasilia wären jetzt gern an seiner Stelle gewesen! Doch sie hatte eben ihn ausersehen, sie ins Pantanal zu begleiten, denn er hatte sein Geologie-Examen derart gut bestanden –
menção ótimo
, mit Auszeichnung, bitte schön! – und besaß den hübschen Kopf eines kecken Verführers, schließlich vielleicht auch, aber das zählte in seinen Begriffen nicht unbedingt mit, da sein Vater der Gouverneur des Staates Maranhão war.
»Cavalheiro de Jorge, seu chapéu azul, cruzeiro do sul no peito …«
Mauro stellte den Ton lauter, wie immer, wenn sein Lieblingslied kam. Der Rhythmus des Stücks begeisterte ihn, er sang leise den Text mit, zog die u-Vokale am Ende der Wörter in die Länge, nach Caetanos Vorbild. Bei jeder Unebenheit der Gleise vibrierten Elaines Schenkel ein wenig; er war im siebten Himmel.
    Das seltsame Gewinsel ihres Reisegefährten störte Elaine aus ihren Träumen auf, jäh wandte sie den Kopf und ertappte den auf ihre Beine gerichteten Blick.
    »Sie sollten sich lieber für die Landschaft da draußen interessieren«, sagte sie, stellte die Beine nebeneinander und zog ihren Rock hinunter.
    Sofort machte Mauro den Walkman aus und nahm den Kopfhörer ab.
    »Entschuldigen Sie, das habe ich nicht gehört. Was haben Sie gesagt?«
    »Nichts Wichtiges …«, lächelte sie, plötzlich von Mauros ängstlicher Miene gerührt. Er war wirklich niedlich anzusehen mit seinen strubbeligen Haaren und dem schuldbewussten Kindergesicht. »Schauen Sie«, sie deutete aus dem Fenster, »es kommen Geologen aus aller Welt, um sich das anzusehen.«
    Mauro warf einen Blick auf die Mondlandschaft, die langsam durch den Rahmen des Fensters strich; seltsame Knubbel aus rotem Sandstein übersäten die dürre Ebene, wie zufällig von irgendwelchen Riesen dort hingeworfen.
    »Stark erodierte Reste präkambrischer Reliefs«, leierte der junge Mann mit zusammengekniffenen Augenbrauen herunter.
    »Nicht schlecht … Aber Sie hätten noch hinzufügen können: ›Großartiger Anblick, bei dessen wilder Schönheit der Mensch sich der Vergänglichkeit seines Erdendaseins bewusst wird.‹ Leider steht das nie in den Geologiebüchern, auch nicht mit anderen Worten.«
    »Sie machen sich über mich lustig, wie immer«, seufzte Mauro. »Sie wissen genau, dass ich einen Sinn dafür habe, sonst hätte ich mich für Mathematik oder Geschichte entschieden. Ich werde langsam müde, das ist es.«
    »Ich auch, zugegeben. Diese Reise nimmt kein Ende. Aber vergessen Sie nicht, zurück nach Brasilia fliegen wir. Das habe ich trotz der geringen Mittel unseres Instituts raushandeln
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