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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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das Studium der Philosophie geworfen, vor allem des Aristoteles, den er liebte & sich erstaunlich rasch aneignete. Doch war er in Fulda dank der bisweilen brutalen Reaktionen seiner Mitschüler auf seinen überfeinerten Geist klug geworden und arbeitete im Verborgenen, ohne sich seine Kenntnisse anmerken zu lassen. Er heuchelte Demut & sogar Dummheit, & galt als schwerfälliger & wenig begabter Schüler.
    Einige Monate nach seiner Ankunft in Mainz äußerte Kircher den Wunsch, in die Societas Jesu einzutreten. Da seine Leistungen nicht genügten, bedurfte es des Vorsprechens seines Vaters beim Jesuiten-Superior der Rheinprovinz, Johann Copper, dass dieser einwilligte, ihn als Novizen aufzunehmen. Gen Paderborn sollte Kircher jedoch erst im Herbst 1618 umziehen, nach den letzten philosophischen Examina. Athanasius nahm die Nachricht freudig auf; die Aussicht, mit seinem Freunde von Spee wiedervereint zu sein, hatte gewiss ihren Anteil daran.
    In jenem Winter pflegte man allgemein des Schlittschuhlaufes, wobei Athanasius ein solcherartiges Geschick an den Tag legte, dass er den Freunden seine Künste voll schuldbewusstem Genuss vorführte. Eitel liebte er es, dank seines behenden, ausgreifenden Gleitens den Kameraden weit vorauszufahren. Als er sich eines Tages mit der Geschwindigkeit eines seiner Mitschüler maß, musste er feststellen, dass er nicht mehr innehalten konnte; seine Beine glitten ihm in verschiedene Richtungen davon, & er fiel sehr hart auf das Eis. Von diesem heftigen Sturze, der rechten Strafe für seine Selbstgefälligkeit, behielt Kircher einen hässlichen Leistenbruch zurück & an den Beinen allerlei Schründe, die er in seinem Stolze niemandem entdeckte.
    Im folgenden Februar dann entzündeten sich die genannten Verletzungen. Ohne ärztliche Versorgung, begannen sie übel zu nässen, & nach wenigen Tagen waren die Beine des Unglücklichen derart geschwollen, dass er nur noch höchst beschwerlich zu gehen vermochte. Der Winter nahm an Strenge noch weiter zu, & Athanasius fuhr von Kälte und Schmerzen doppelt geplagt mit seinen Studien fort. Vor Angst, vom Jesuitenkolleg abgewiesen zu werden, das ihn nur unter Schwierigkeiten aufgenommen hatte, verschwieg er seine Leiden, so dass der Zustand seiner Beine sich bis zum Tage seiner Abreise stetig verschlimmerte.
    Seine Fußwanderung durch Hessen wurde zu einem wahren Martyrium. Während all der Tage & Nächte seines Marsches musste Athanasius daran denken, was Friedrich von Spee über die den Hexen und Zaubermeistern von der Inquisition angetanen Foltern berichtet hatte: Genau dieses erduldete er nunmehr selbst, & nur sein Glauben an Jesum & die bevorstehende Wiedervereinigung mit seinem Freunde gestatteten ihm, dem Weh des Fleisches so recht und schlecht zu widerstehen. Am 2 . Oktober 1618 erreichte Athanasius unter grässlichem Hinken das Jesuitencollegium von Paderborn. Nach der ersten ergriffenen Begrüßung drängte von Spee, der ihn erwartet hatte, er möge sein Geheimnis lüften. Ein rasch hinzugezogener Chirurg entsetzte sich ob des Zustands seiner Beine, in denen er einsetzenden Brand feststellte & weswegen er Kircher als dem Tode geweiht beklagte. In der Meinung, dass eine unheilbare Krankheit allein genüge, wahrte Athasius Schweigen über seinen Leistenbruch. Johann Copper, der Superior des Collegiums, gab ihm sanft zu verstehen, dass er, sollte es ihm binnen eines Mondes nicht bessergehen, wieder nach Hause würde zurückkehren müssen. Auf sein Anmuten indes versanken sämtliche Novizen im Gebet zu Gott dem Herrn, er möge sich des beklagenswerten Neuankömmlings erbarmen.
    Nachdem Athanasius’ Qualen die nächsten Tage über nur noch schlimmer geworden waren, riet von Spee seinem Schützling schließlich, er möge sich an diejenige wenden, die schon immer ihre bergende Hand über ihn gehalten. In der Paderborner Kirche befand sich eine uralte Statue der Jungfrau Maria, welcher wundersame Kräfte zugesprochen wurden. Ihr Ruf war groß bei den Bewohnern der Gegend. So ließ Kircher sich in die Kirche bringen, & eine ganze Nacht lang flehte er zu Unserer Lieben Frau, sie möge sich des Jammers ihres kranken Sohnes annehmen. Gegen die zwölfte Stunde verspürte er in seinem Fleische, dass sie seine Bitten erhörte, & fühlte sich von wundersamer Freude erfüllt. Seine Heilung nicht länger bezweifelnd, fuhr er bis zum Morgen mit seinen Gebeten fort.
    Als er dann nach einigen Stunden traumlosen Schlafes wieder erwachte, durfte
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