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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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ebenso fanatisch alles zusammen, was von nah oder fern mit Kircher, jenem spinnerten Jesuiten, in Verbindung stand. Originalausgaben, Stiche, Abhandlungen oder Artikel, verstreute Zitate, alles taugte ihm dafür, die durch seinen weit zurückliegenden Verzicht auf eine akademische Laufbahn verursachte Leere zu füllen. Das war so seine Art, einem Wissenshunger, dessen er sich einst nicht hatte würdig erweisen können, treu zu bleiben und ihm weiterhin die Ehre zu erweisen, und sei es eine etwas spöttische.
    »Soledade!«, schrie er, ohne sich umzudrehen.
    Nicht lange, und die junge Mulattin steckte ihr neugierig-vergnügtes Clownsgesicht zur Tür herein.
    »Ja, Senhor?«, fragte sie honigsüß im Tonfall einer, die kaum fassen kann, dass man so unvermittelt nach ihr verlangt.
    »Machst du mir bitte eine Caipirinha?«
    »Pode preparar me uma caipirinha, por favor?«
, äffte Soledade seinen Akzent nach.
    Eléazard wiederholte seine Bitte stumm mit hochgezogenen Augenbrauen, doch sie drohte ihm mit dem Finger wie einem Schwerenöter.
    »Sofort, Senhor …!«, und sie verschwand, nicht ohne ihm mit herausgestreckter rosiger Zungenspitze noch schnell eine Schnute gezogen zu haben.
    Soledade war halb schwarz, halb Indio, eine
Cabocla
, wie man es hier nannte, in einem Dorf des Sertão geboren und erst achtzehn Jahre alt, doch schon in früher Jugend hatte sie ihr Dorf verlassen müssen, um in der Stadt etwas für den Lebensunterhalt ihrer allzu zahlreichen Geschwister hinzuzuverdienen. Seit fünf Jahren herrschte schwere Trockenheit im Hinterland; die Bauern mussten schon Kakteen und Schlangen essen, doch bevor sie ihr Stückchen Erde verließen, schickten sie lieber ihre Kinder an die Küste, wo sich in den Großstädten wenigstens ein bisschen etwas zusammenbetteln ließ. Soledade hatte mehr Glück gehabt als die meisten anderen: Auf Vermittlung eines Cousins ihres Vaters war sie als Dienstmädchen bei einer brasilianischen Familie untergekommen. Dort wurde sie schmählich ausgebeutet und beim geringsten Verstoß gegen die Anweisungen ihrer Herrschaft durchgeprügelt, so dass sie freudig das Angebot angenommen hatte, für einen Franzosen zu arbeiten, dem sie während einer
Feijoada
[1] bei seinen Arbeitskollegen aufgefallen war. Mehr als von ihren hausfraulichen Qualitäten war Denis Raffenel von ihrem Lächeln bezaubert gewesen, ihrer seidigen Negerinnenhaut und dem phantastischen Körper der jungen Frau; er behandelte sie aber gut, respektierte sie sogar, so dass sie vollkommen zufrieden war mit dem verdoppelten Gehalt bei der minimalen Arbeitsleistung, die dennoch von ihr erwartet wurde. Jetzt war es drei Monate her, dass per Zufall Eléazards Scheidung zeitlich mit der Abreise dieses fabelhaften Franzosen zusammenfiel. Ein wenig, um Raffenel einen Gefallen zu tun, sehr viel mehr aber, weil er sich einsam fühlte, hatte Eléazard Soledade gebeten, doch bei ihm zu arbeiten. Sie kannte ihn, hatte ihn mehrfach bei Raffenel gesehen, außerdem war er ebenfalls Franzose, und sie wäre eher gestorben, als wieder für Brasilianer zu arbeiten, folglich hatte sie sofort eingewilligt, unter der Bedingung, dasselbe Gehalt zu bekommen wie bisher – in Wahrheit einen Hungerlohn – sowie einen Farbfernseher. Eléazard war beiden Wünschen nachgekommen und sie eines schönen Morgens bei ihm eingezogen.
    Soledade kümmerte sich um Wäsche, Einkauf und Küche, und sie putzte das Haus – wenn ihr danach war, also selten. Die meiste Zeit saß sie vorm Fernseher und verfolgte die abgeschmackten Telenovelas von TV Globo, dem größten Sender des Landes. Die »speziellen« Dienste, die sie ihrem vorherigen Arbeitgeber zu leisten pflegte, nahm Eléazard nie in Anspruch. So hatte er das kleine Zimmer, in dem sie sich eingerichtet hatte, nie betreten; aus Desinteresse eher als aus Respekt, aber Soledade war ihm dankbar dafür.
    Da war sie auch schon wieder; ihn erfreute wie immer der Anblick ihres lässigen Gangs, dieses ganz afrikanische Schlurfen mit irritierend klatschenden bloßen Füßen. Sie stellte Eléazard das Glas auf den Schreibtisch, bedachte ihn mit einer erneuten Grimasse und verschwand.
    Eléazard nippte an dem Getränk – Soledade verstand sich einfach auf das perfekte Verhältnis von Cachaça und Limette – und ließ den Blick aus dem großen Fenster seines Arbeitszimmers schweifen. Es ging direkt auf den Dschungel hinaus, genauer gesagt auf die
mata
, jenes üppig wuchernde Dickicht aus Bäumen, sich windenden
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