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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola
Autoren: Bill Bryson
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in Erstaunen versetzte, aber das tat es. Immer wieder dachte ich, »Der Mann da drüben, das ist ein Luxemburger. Und das Mädchen auch. Sie haben noch nie von den New York Yankees gehört, und die Titelmelodie von The Mickey Mouse Club kennen sie auch nicht. Das hier ist eine andere Welt.« Es war einfach wunderbar.
    Am Nachmittag stieß ich auf der Pont Adolphe, hoch über der Schlucht, die sich quer durch die Stadt zieht, auf meinen pickeligen Nachbarn aus dem Flugzeug. Ebenfalls mit einem riesigen Rucksack auf den Schultern trottete er zurück in Richtung Zentrum. Ich begrüßte ihn wie einen Freund – schließlich war er unter den 300 Millionen Menschen in Europa der einzige, den ich kannte. Meine fieberhafte Aufregung teilte er allerdings nicht.
    »Hast du ein Zimmer bekommen?« fragte er finster.
    »Nein.«
    »Ich kann einfach keins finden. Ich hab schon überall gefragt. Alles ist voll.«
    »Wirklich?« Besorgnis legte sich wie ein Schatten über mich. Das könnte zu einem Problem werden. Bis dahin hatte ich mich noch nie in einer Situation befunden, in der ich mich selbst um ein Bett für die Nacht kümmern mußte. Ich bin davon ausgegangen, nur ein kleines Hotel aufsuchen zu müssen, wenn ich die Zeit für gekommen hielt, und damit wäre die Sache erledigt.
    »Scheißstadt, Scheiß-Luxemburg«, sagte mein Freund mit überraschender Unverblümtheit und trottete weiter. Ich fragte in einer Reihe von mehr oder weniger schäbigen Hotels in der Umgebung des Hauptbahnhofs nach einem Zimmer, aber nirgends war etwas frei. Ich ging weiter stadtauswärts und versuchte mein Glück unterwegs in anderen Hotels, aber ohne Erfolg, und es dauerte nicht lange – die Stadt Luxemburg ist nämlich ebenso kompakt wie reizvoll –, und ich stand an einer Landstraße außerhalb der Stadt. Unsicher, wie ich diese kritische Situation bewältigen sollte, beschloß ich spontan, per Anhalter nach Belgien zu fahren. Das war ein größeres Land; vielleicht hätte ich dort mehr Glück. Eine Stunde und vierzig Minuten stand ich am Straßenrand, hielt meinen Daumen in die Luft und sah zu, wie die Autos an mir vorüberschossen und wie sich die Sonne allmählich dem Horizont näherte. Meine Besorgnis drohte in Verzweiflung umzuschlagen. Ich war gerade im Begriff, auch diesen Plan fallenzulassen – um was zu tun? Ich wußte es nicht –, als ein verbeulter Citroën 2CV hielt. Ich schleppte meinen Rucksack zum Auto und erblickte auf den Vordersitzen ein junges Paar, das sich zankte. Im ersten Moment kam es mir vor, als hätten sie gar nicht meinetwegen gehalten, sondern weil der Mann der Frau eine knallen wollte – aus den Filmen mit Jean-Paul Belmondo wußte ich, daß das in Europa zu den Gepflogenheiten gehört –, doch dann stieg die Frau aus, durchbohrte mich mit einem wütenden Blick und ließ
    mich auf den Rücksitz klettern, wo ich mit bis an die Ohren hochgezogenen Knien eingezwängt zwischen Stapeln von Schuhkartons saß. Der Fahrer war sehr freundlich und sprach gut Englisch. Da der Motor ein Getöse wie ein Rasenmäher machte, konnten wir uns nur schreiend unterhalten. Der Mann rief mir zu, daß er als Vertreter für Schuhe und seine Frau als Bankangestellte in Luxemburg arbeiteten und daß sie direkt hinter der Grenze in Arlon wohnten. Ständig drehte der Mann sich um und ordnete die Kartons auf dem Rücksitz, um mir mehr Platz zu schaffen. Einige Schachteln warf er auf die Hutablage, was für mich alles andere als angenehm war, denn mehr als einmal traf er mich damit am Kopf. Außerdem raste er gleichzeitig einhändig mit 110 Stundenkilometern durch den dichten Verkehr.
    Alle paar Sekunden stieß seine Frau einen Schreckensschrei aus, weil das Hinterteil eines Lkws näher und näher rückte und schließlich die Windschutzscheibe ausfüllte, woraufhin der Mann seine Aufmerksamkeit für vielleicht zweieinhalb Sekunden dem Straßenverkehr schenkte, um sie dann erneut meiner Bequemlichkeit zu widmen. Sie regte sich unentwegt über seine Fahrweise auf, aber er tat, als wäre das nur eine ihrer liebenswerten Marotten, und warf mir verschwörerische, ausgesprochen schelmische Blicke zu, als würden wir beide uns insgeheim über ihr kreischendes Gemecker lustig machen.
    Selten war ich mir meines nahenden Todes so gewiß. Der Mann fuhr, als nähmen wir an einem Slalomrennen teil. Die Straße bestand aus drei Fahrbahnen – auch etwas, das ich nie zuvor gesehen hatte. Eine Fahrbahn führte nach Osten, die andere nach Westen, und die
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