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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola
Autoren: Bill Bryson
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beginnen sollten. Hatte man also einen Knopf betätigt, schob man sein leeres Tablett in Richtung Kasse, versorgte sich unterwegs mit Getränken und wartete dann zusammen mit dem Kassierer zwanzig Minuten, bis das bestellte Gericht herausgebracht wurde. Wenn Sie mich fragen, hat damit eine Cafeteria ihren Zweck verfehlt. Da ich der letzte in der reglosen Warteschlange war, ging ich nach draußen und rauchte in der bitteren Kälte eine nach der anderen. Als ich wieder eintrat, war die Schlange kaum kürzer geworden. Ich nahm mir dennoch ein Tablett und warf einen Blick auf die Speisekarte. Ich hatte keine Ahnung, was sich hinter den Namen der einzelnen Gerichte verbarg. Aus Angst, versehentlich Leber zu bestellen – ein Gericht, das mir dermaßen verhaßt ist, daß ich an dieser Stelle für einen Moment unterbrechen muß, weil mir schon allein bei dem Gedanken daran schlecht wird –, bestellte ich gar nichts (obwohl ich eigentlich große Lust verspürte, alle Knöpfe zu drücken, nur um zu sehen, was dann passieren würde). Statt dessen entschied ich mich für eine Flasche Pepsi und ein wenig Gebäck. Als ich jedoch an der Kasse ankam, klärte mich der Kassierer auf, daß er mit meinem norwegischen Geld nichts anfangen könne, daß ich schwedisches Geld brauche. Das überraschte mich. Ich hatte immer gedacht, alle nordischen Menschen wären Brüder und hätten einen freien Austausch ihrer verschiedenen Währungen, wie es zwischen Belgiern und Luxemburgern üblich ist. Unter dem erbarmungslosen Blick des Kassierers stellte ich Gebäck und Pepsi an ihren Platz zurück, nahm mir statt dessen ein eisgekühltes, kostenloses Glas Wasser und setzte mich an einen Tisch. Ich wühlte in meiner Jackentasche und zog einen Dan-AirKeks hervor, der vom Flug nach Oslo übrig geblieben war und nun mein Abendessen wurde. Als wir wieder im Bus saßen, gesättigt von Lammschnitzeln und Gemüse und/oder Keks und Wasser, knipste der Fahrer die Innenbeleuchtung aus, und wir hatten keine andere Wahl, als zu schlafen oder es zumindest zu versuchen. Es war unvorstellbar unbequem. Nachdem ich alle Möglichkeiten ausprobiert hatte, fand ich heraus, daß ich mehr oder weniger kopfüber, mit in der Luft baumelnden Beinen, am wenigsten unbequem lag. In dieser Haltung fiel ich in einen tiefen und erstaunlich erholsamen Schlaf. Nach zehn Minuten begannen norwegische Münzen aus meiner Tasche zu rutschen und kullerten eine nach der anderen auf den Boden, wo sie (wie ich annehme) von der kleinen, alten Dame hinter mir still und heimlich eingesammelt wurden. Und so verging die Nacht.
    Früh am Morgen wurden wir geweckt. Der Bus hielt in einem Ort mit Namen »Wo Zum Teufel«, Finnland. Eigentlich hieß er Muonio und war der trostloseste Ort, den ich je gesehen habe: eine Tankstelle und eine Imbißbude mitten in der Tundra. Die gute Nachricht war, daß der Imbiß norwegisches Geld annahm; die schlechte Nachricht war, daß es dort nichts zu essen gab, das jemand, der sich nicht gerade in einem Notstandsgebiet befand, würde essen wollen. Dem Fahrer und seinem Kollegen wurden Teller mit dampfenden Bergen von Eiern, Kartoffeln und Speck serviert, aber für den Rest von uns stand dergleichen nicht auf der Speisekarte. Ich kaufte eine Flasche Mineralwasser und eine Scheibe Knäckebrot mit einem Stück Käse vom letzten Jahr, wofür man mir stolze fünfundzwanzig Kronen abnahm. Nach diesem üppigen Frühstück, während der Fahrer und sein Kollege beim Kaffee saßen und zufriedene Rülpser unterdrückten, sahen die anderen Fahrgäste und ich uns die Keilriemen und Schneeschaufeln in den zwei Schaufenstern der Ortschaft an. Dann scharten wir uns in der eisigen Kälte um den Bus und verqualmten eine weitere Handvoll Zigaretten. Um halb acht machten wir uns wieder auf den Weg. Nur noch einen Tag im Bus, munterte ich mich auf. Die Landschaft war unbeschreiblich trostlos. Kilometer für Kilometer nichts als Schneewüste und dürre Birkenwälder. Rentiere grasten am Straßenrand oder leckten das Streusalz auf. Wir fuhren durch vereinzelte Samendörfer, die allesamt kalt und leblos wirkten. Hier brannten keine weihnachtlichen Lichter in den Fenstern. In der Ferne blinzelte die Sonne über die Hügel, verharrte einen Moment unentschlossen und versank. Drei Wochen lang würde ich sie nicht mehr zu Gesicht bekommen. Kurz nach fünf überquerten wir die lange, einsame Brücke, die sich auf die Insel Kvaløy schwingt. Auf dieser Insel liegt Hammerfest. Wir befanden uns
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