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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola
Autoren: Bill Bryson
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bis man hier mal bedient wird?«, denn der Kellner ließ so abrupt meinen Teller auf den Tisch fallen, daß das Besteck zu tanzen begann, ging schnurstracks auf den Mann zu, zerrte ihn wutschnaubend vom Stuhl, schob ihn unter großen Schwierigkeiten zur Tür und stieß ihn in den Schnee hinaus. Als er mit gerötetem Gesicht und unruhigem Blick wieder an meinen Tisch kam, sagte ich heiter »Ich hoffe, Sie begleiten nicht all Ihre Gäste so zur Tür!«, aber er war nicht in der Stimmung für Witze und entfernte sich eingeschnappt. So sollte ich nie erfahren, wie man sich an einem Abend wie diesem in Hammerfest die Zeit vertreiben konnte, es sei denn, es war einem danach zumute, Telefonbücher in Brand zu stecken, Kellner zu beleidigen oder zu heulen.
    Eine halbe Stunde vor Mitternacht – in der Bar herrschte noch immer gähnende Leere – verließ ich das Hotel, um herauszufinden, ob anderswo mehr los war. Der Wind hatte sich gelegt, dennoch waren die Straßen so gut wie leer. In jedem Fenster brannte Licht, aber nichts sprach dafür, daß irgendwo gefeiert wurde. Dann, kurz vor Mitternacht, ich wollte gerade ins Hotel zurückgehen, geschah etwas Seltsames. Alle Menschen traten aus ihren Häusern auf die Straße und veranstalteten ein Feuerwerk. Ein gewaltiges Feuerwerk. Die Feuerwerkskörper schossen mit schrillen Tönen in den Himmel, explodierten mit lautem Knall und erfüllten die Nacht mit Farbe und Funken. Eine halbe Stunde lang knallte und glitzerte es auf der ganzen Halbinsel, über dem Hafen, selbst über dem Meer. Dann, genau eine halbe Stunde nachdem es begonnen hatte, ging jedermann in sein Haus zurück, und Hammerfest legte sich wieder zur Ruhe.

    Die Tage vergingen. Jeden Tag machte ich mindestens drei lange Spaziergänge und hielt nach dem Nordlicht Ausschau. Abends ging ich stündlich nach draußen, um zu sehen, ob sich am Himmel etwas rührte, aber nichts geschah. Manchmal stand ich nachts auf und warf einen Blick aus dem Fenster – vergeblich. Ein-oder zweimal am Tag schneite es dicke, flauschige Flocken, doch ansonsten war der Himmel klar. Jedermann sagte mir, dies sei das ideale Wetter für das Nordlicht. »Sie hätten kurz vor Weihnachten hier sein sollen – ah, es war wunderbar«, schwärmten sie und beteuerten, daß es in dieser Nacht ganz bestimmt wieder soweit sein würde. »Heute abend um elf Uhr gehen Sie nach draußen. Dann werden Sie schon sehen.«
    Aber ich sah nichts.
    Wenn ich nicht gerade spazierenging oder den Himmel absuchte, saß ich in der Hotelbar und trank Bier oder lag auf dem Bett und las. Ein-, zweimal habe ich versucht, auf meinem Zimmer fernzusehen. In Norwegen gibt es nur ein Fernsehprogramm, und das ist verblüffend schlecht. Nicht nur, daß die Sendungen langweilig sind, und das sind sie zweifellos, vor allen Dingen ist das Ganze so herrlich unprofessionell. Ist ein Film zu Ende, sieht man dreißig Sekunden lang nichts als verkratzte, weiße Kreise – wie damals, wenn Dad uns zu Hause seine Filme vorführte und nicht rechtzeitig den Projektor ausstellte, sobald ein Film abgelaufen war –, und dann erscheint plötzlich ein Ansager im Scheinwerferlicht und sieht so aufgeschreckt aus, als wäre er gerade im Begriff gewesen, etwas zu tun, wovon die Nation nichts wissen sollte. Der Ansager, immer ein attraktiver junger Mann oder eine attraktive junge Frau in flottem Pullover und mit kunstvoll modellierter Frisur, füllt die langen Pausen zwischen den Sendungen mit endlosen Vorschauen auf die noch bevorstehenden Höhepunkte des Fernsehabends: ein Dokumentarfilm über den Abbau von Mineralien in Narvik, ein napoleonisches Schauspiel in historischen Kostümen, in dem die Hauptdarsteller Schnurrbärte tragen, die unverkennbar nicht ihre eigenen sind, und herumstolzieren, als hätten sie einen Besenstiel verschluckt (was ihre Vorstellung jedoch keineswegs beeinträchtigen soll), und zu guter Letzt eine Jazz Session mit den Siggi Wurtmuller Rhythm Cadettes. Das Vorteilhafteste, das sich über das norwegische Fernsehen sagen läßt, ist, daß es seinen Zuschauern ermöglicht, die Sinneseindrücke eines Komas ohne die dazugehörigen Unannehmlichkeiten erleben zu können. Ich kam mir allmählich vor wie jemand, dem sein Arzt absolute Ruhe verordnet hat (»Sie sollten irgendwohin fahren, wo es ganz und gar langweilig ist und wo es für Sie rein gar nichts zu tun gibt.«). Noch nie hatte ich so lange und so gut geschlafen. Noch nie hatte ich soviel Freizeit, daß ich ganze Tage
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