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Die schneeweiße Katze

Die schneeweiße Katze

Titel: Die schneeweiße Katze
Autoren: Ursel Scheffler
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Die schneeweiße Katze
    „Rätselhaft, sehr rätselhaft!“, murmelt Kommissar Kugelblitz und zwirbelt das rechte Ende seines Seehundsbartes zwischen Daumen und Zeigefinger. „Ein Einbruch ohne Einbrecher! Man könnte an Geister glauben!“
    Er starrt in das Schaufenster des Juweliers Briller, aus dem über Nacht ein wertvolles Diadem verschwunden ist, ohne dass Türen und Fenster auch nur die geringsten Spuren gewaltsamen Eindringens aufweisen.
    „So ist es“, sagt Herr Briller, dem man die Erschütterung über den Verlust anmerkt. Das Diadem war sein Meisterstück, und er hatte nicht umsonst dafür den Kunstpreis des Goldschmiedehandwerks bekommen.

    „Und die Alarmanlage hat auch keinen Einbruch angezeigt“, mischt sich Frau Briller ein.
    „Wer hat sonst noch einen Schlüssel zu Ihrem Geschäft?“, erkundigt sich Kugelblitz.
    „Niemand“, sagt der Juwelier wahrheitsgemäß.

     
    „Hm“, überlegt Kugelblitz.
    „Sonst ist nichts verschwunden?“ Der Juwelier verneint.
    „Trotzdem möchte ich, dass meine Leute den Laden genau nach Spuren untersuchen. Könnten Sie das Geschäft für eine Stunde schließen?“
    „Selbstverständlich“, versichert der Juwelier.
    Kugelblitz sieht sich, ehe er geht, noch einmal in dem blitzsauberen Laden um. Kein Stäubchen auf den Vitrinen, keine Fingerabdrücke auf dem Glas, keine verräterische Fußspur auf dem Boden. Keinerlei Werkzeuge liegen herum. Am Holzrahmen des Schaufensters entdeckt er ein paar weiße, wollartige Fussel. Er nimmt sie prüfend in die Hand.
    „Vermutlich vom Angorapullover einer Kundin. Das müssen wir beim Putzen übersehen haben. Das kommt schon mal vor“, entschuldigt sich Frau Briller.
    „Auf alle Fälle nehme ich das mal mit“, murmelt Kugelblitz und verwahrt die spärliche Ausbeute in einer kleinen Plastiktüte. Dann verlässt er nachdenklich den Tatort. Als eine Dreiviertelstunde später Kriminalhauptmeister Zwiebel mit den Leuten von der Spurensicherung aus dem Juweliergeschäft zurückkommt, sagt er: „Tut mir Leid, Chef. Nicht die geringste Spur!“
    „Dann muss es ein Geist gewesen sein. Oder haben Sie eine andere Erklärung, Zwiebel?“
    „Das mit dem Geist ist keine schlechte Idee“, entgegnet Kriminalhauptmeister Zwiebel. „Im Nachbarhaus wohnt Madame Schuschu, eine Hellseherin. Vielleicht kann sie uns helfen?“
    „Eine Hellseherin? Sie meinen, dass sie vielleicht in den Sternen lesen kann, wo sich das kostbare Schmuckstück jetzt befindet?“
    „So was gibt es“, beteuert Zwiebel. Er glaubt an solche Sachen, und er liest auch jede Woche sein Horoskop in der Illustrierten. Das trägt ihm oft den Spott seiner Kollegen ein. Deshalb verschweigt er auch, dass er sich von Madame Schuschu schon einmal die Karten legen ließ, als er Liebeskummer hatte.
    Damals hatte ihm Madame Schuschu eine neue große Liebe „übern kurzen Weg“ vorhergesagt, nachdem ihre weiße Katze zielsicher aus einem Kartenhaufen die Herzdame herausgefischt hatte.

    Sie behielt Recht. Denn Zwiebel lernte kurz darauf die jetzige Frau Zwiebel kennen, die Mutter der quietschfidelen Zwiebelzwillinge. Daher hat Kriminalhauptmeister Zwiebel Madame Schuschu und ihre Katze in bester Erinnerung. Kugelblitz kann anscheinend Gedanken lesen.
    „Sie kennen Madame Schuschu?“, erkundigt er sich mit gerunzelter Stirn.
    „Flüchtig“, antwortet Kriminalhauptmeister Zwiebel ausweichend.
    „Ich hätte nichts dagegen, wenn Sie sich mal mit ihr über diesen rätselhaften Fall unterhalten. Ungewöhnliche Fälle verlangen ungewöhnliche Maßnahmen. Vielleicht hat sie ja tatsächlich irgendeine Beobachtung gemacht.“
    So kündigt Kriminalhauptmeister Zwiebel telefonisch bei Madame Schuschu für den Nachmittag seinen Besuch an. Als er das Zimmer betritt, sieht sie ihm gespannt entgegen.
    „Nun, diesmal ist es kein Liebeskummer, habe ich Recht?“, sagt sie und lächelt verschmitzt.
    „Woher wissen Sie das?“
    „Ich bin schließlich Hellseherin. Aber alles kann ich auch nicht erraten. Wo drückt der Schuh?“, fragt sie und streicht mit einer liebevollen Gebärde ihrer schlanken Finger über die glitzernde Kristallkugel, die vor ihr auf dem kleinen Schreibtisch liegt.

     
    Zwiebel kann im Halbdunkel des Raumes ihr hübsches Gesicht nur undeutlich erkennen. Unsicher sieht er sich um.
    „Setzen Sie sich, der Stuhl steht direkt neben Ihnen.“
    Zwiebel nimmt gehorsam Platz.
    „Heute sind es berufliche Gründe, die mich zu Ihnen führen“, sagt Zwiebel
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