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Wo bist du

Wo bist du

Titel: Wo bist du
Autoren: Unbekannter Autor
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heiseren Klang der Hupe übertönten Stimmen verstummten allmählich, und die ganze Versammlung drehte sich zu Susan um. Sie wandte sich in ihrem besten Spanisch an denjenigen, der ihr Anführer zu sein schien.
    »Ich habe Decken, Lebensmittel und Medikamente. Entweder Sie helfen mir jetzt beim Ausladen, oder ich löse die Handbremse und gehe zu Fuß nach Hause zurück.« Eine Frau trat schweigend aus der Gruppe vor, blieb neben dem Kühler stehen und bekreuzigte sich. Susan versuchte, von ihrem Hochsitz zu springen, ohne sich einen Knöchel zu brechen, die Frau streckte ihr die Hand entgegen, um ihr zu helfen, und einer der Männer folgte ihrem Beispiel. Susan maß die Menge mit Blicken und ging nach hinten zu Juan.
    Die Bergbewohner wichen langsam zur Seite, um ihr Platz zu machen. Juan sprang auf die Ladefläche, und gemeinsam schlugen sie die Plane hoch. Die Dorfbewohner sahen unbewegt und schweigend zu, wie Susan einen Stapel Decken herauszog und auf den Boden warf. Niemand rührte sich.
    »Aber was, zum Teufel, haben sie denn?«
    »Senora«, sagte Juan «was Sie bringen, stellt für diese Leute einen unschätzbaren Wert dar; sie warten, was Sie dafür verlangen, und wissen, dass sie Ihnen nichts dafür geben können.«
    Dann sag ihnen, das Einzige, was ich von ihnen verlange, ist, dass sie uns beim Abladen helfen.«
    »Die Sache ist etwas komplizierter.« »Und was muss man tun, damit es einfacher wird?«
    »Streifen Sie sich Ihre Armbinde des Peace Corps über. Dann nehmen Sie eine der Decken, die Sie auf den Boden geworfen haben, und legen sie über die Schultern der Frau, die sich vorhin bekreuzigt hat.« Während sie die Frau behutsam in die Decke hüllte, sah sie ihr tief in die Augen und sagte auf Spanisch: »Ich bin hier, um Ihnen das zu bringen, was man Ihnen schon vor langer Zeit hätte übergeben müssen. Entschuldigen Sie, dass ich erst so spät gekommen bin.« Teresa nahm sie in die Arme und küsste sie auf die Wangen. Nun machten sich die Männer eifrig über den Lastwagen her und luden ihn aus. Juan und Susan wurden eingeladen, mit allen Dorfbewohnern zu Abend zu essen. Es war längst dunkel, als ein großes Feuer entzündet und ein frugales Mahl ausgeteilt wurde.
    Im Laufe des Abends hatte sich Susan ein kleiner Junge von hinten genähert. Susan, die seine Gegenwart spürte, drehte sich um und lächelte ihm zu, woraufhin er sofort davonlief.
    Etwas später kam er wieder, diesmal ein Stückchen näher. Erneutes Augenzwinkern, erneute Flucht. Das Spielchen wiederholte sich noch etliche Male, bis er schließlich ganz dicht bei ihr war. Sie sah ihn ruhig an, ohne ein Wort zu sagen. Unter der Dreckkruste auf seinem Gesicht entdeckte sie die Schönheit seiner pechschwarzen Augen. Vorsichtig streckte sie ihm die Hand entgegen, die Innenfläche nach oben. Die Blicke des Jungen glitten zögernd zwischen Hand und Gesicht hin und her, dann griff er schüchtern nach ihrem Zeigefinger. Er machte ihr ein Zeichen zu schweigen, und sie spürte das Ziehen des kleinen Armes, der sie irgendwohin führen wollte. Sie erhob sich und folgte ihm durch die engen Durchgänge zwischen den Häusern. Hinter einem Lattenzaun blieb er stehen, und der Finger, den er auf die Lippen legte, bedeutete ihr, sich ganz still zu verhalten, sich hinzuknien, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein. Er zeigte auf ein Loch im Zaun und sah hindurch, damit sie seinem Beispiel folgen möge. Er wich zur Seite, und sie kam näher, um zu sehen, was diesen kleinen Kerl veranlasst hatte, allen Mut zusammenzunehmen, um sie hierher zu führen.
    ... Ich habe ein fünfjähriges Mädchen entdeckt; die Kleine war halb tot, so brandig war ihr Bein. Teile ihres Dorfes waren von den Schlammmassen fortgerissen worden. Ein Mann, der, an einen Baumstamm geklammert, auf der Suche nach seiner verschwundenen Tochter dahintrieb, sah ihren kleinen Arm aus den Fluten ragen. Es gelang ihm, ihre Hand zu ergreifen und ihren Körper an sich zu ziehen. Zusammen trieben sie kilometerweit durch die dunkle Nacht, ein verzweifelter Kampf den Kopf über Wasser zu halten in diesem ohrenbetäubenden Lärm der tosenden Fluten, die sie immer weiter mit sich forttrugen, bis sie, am Ende ihrer Kräfte, das Bewusstsein verloren. Als er bei Tagesanbruch erwachte, war das Mädchen noch immer an seiner Seite. Sie waren beide verletzt, aber am Leben, nur dass es nicht seine Tochter war, die er gerettet hatte. Sein eigenes Kind, tot oder lebendig, hat er nie wiedergefunden.
    Nach einer Nacht
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