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Wo bist du

Wo bist du

Titel: Wo bist du
Autoren: Unbekannter Autor
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deinem Charme erlegen sind. Nutze die Gelegenheit, mein Bester, aber mach die armen Mädchen nicht zu unglücklich. Sei zärtlich geküsst,
    Susan
    4. April 1975 Susan,
    die Lichter der Festtage sind längst erloschen, und der Februar liegt schon hinter uns. Vor zwei Wochen hatten wir heftige Schneefälle, die drei Tage lang für unbeschreibliche Panik sorgten. Kein Privatwagen konnte mehr fahren, die Taxis rutschten wie Schlitten über die Fifth Avenue. Die Feuerwehr konnte einen Brand im TriBeCa nicht löschen, weil das Löschwasser eingefroren war. Und dann, es ist nicht zu fassen, sind drei Obdachlose im Central Park an Unterkühlung gestorben, darunter eine dreißigjährige Frau. Sie saß vor Kälte erstarrt auf einer Bank. In den Abend- und Morgennachrichten ist von nichts anderem mehr die Rede. Niemand kann verstehen, warum die Stadtverwaltung diesen Menschen bei solcher Kälte keine geeigneten Räumlichkeiten zur Verfügung stellt. Wie kann es sein, dass man heutzutage in den Straßen von New York erfriert, einfach erbärmlich! Nun bist also auch du in ein neues Haus gezogen. Sehr amüsant, dein Kommentar zu den Mädchen an der Uni. Jetzt aber zu dir: Wer ist dieser Juan, der sich so rührend um dich kümmert? Ich arbeite wie ein Wahnsinniger, die Prüfungen sind in wenigen Monaten. Vermisst du mich immer noch ein bisschen? Schreib mir schnell zurück,
    Philip
    25. April 1975 Philip,
    ich habe deinen Brief erhalten und wollte ihn schon vor zwei Wochen beantworten, aber ich finde einfach nicht die Zeit. Jetzt haben wir bereits Anfang April, das Wetter ist schön, ein wenig zu heiß, der Geruch ist manchmal schwer zu ertragen. Wir sind mit Juan für zehn
    Tage aufgebrochen, haben das ganze Sula-Tal durchquert und sind die Straßen zum Monte Cabaceras de Naco hinaufgefahren. Ziel unserer Expedition waren die Dörfer in den Bergen. Sie sind nur schwer zugänglich. Dodge, so haben wir unseren Lastwagen getauft, hat uns zweimal im Stich gelassen, doch zum Glück ist Juan ein richtiger Zauberer. Mein Rücken ist total kaputt; du kannst dir nicht vorstellen, was es heißt, ein Rad an so einem Ding zu wechseln. Die Bauern haben uns zunächst für Sandinisten gehalten, die uns wiederum oft für Militärs in Zivil halten. Wenn sie sich einigen könnten, wäre uns damit schon sehr gedient.
    An der ersten Straßensperre ist mir fast das Herz stehen geblieben. Noch nie habe ich ein Maschinengewehr so dicht vor meiner Nase gehabt. Wir haben unseren Passierschein mit ein paar Säcken Getreide und einem Dutzend Decken erkauft. Der Weg, der sich am felsigen Berghang hinaufschlängelte, war an vielen Stellen kaum befahrbar. Für tausend Meter Höhenunterschied haben wir zwei Tage gebraucht. Es ist schwer zu beschreiben, was wir dort oben angetroffen haben. Ausgehungerte Familien, die von nirgendwoher Hilfe bekommen hatten. Juan musste lange verhandeln, um das Vertrauen der Männer zu gewinnen, die den Pass bewachten ...
    Sie wurden mit größtem Argwohn empfangen. Das Motorgeräusch hatte sie angekündigt. Die Dorfbewohner stellten sich zu beiden Seiten des Weges auf und beäugten den im Schneckentempo dahinkriechenden Dodge, dessen Getriebe in jeder Biegung erbärmlich ächzte. Als er fast zum Stehen kam, um eine Kurve zu nehmen, die das Ende der Straße ankündigte, sprangen zwei Männer vom Straßenrand auf die Trittbretter und richteten die Spitzen ihrer Buschmesser in das Innere des Führerhauses. Erschrocken machte Susan einen Schlenker, stieg mit aller Macht auf die Bremse und brachte den Wagen knapp vor dem Abgrund zum Stehen. Blind vor Zorn vergaß sie ihre Angst und sprang aus dem Wagen. Beim Öffnen der Tür stieß sie einen der Männer zu Boden. Mit finsterem Blick, die Hände in die Hüften gestemmt, bedachte sie ihn mit einem Schwall von Flüchen. Verdutzt rappelte sich der Bauer hoch; er hatte kein Wort von dem verstanden, was diese Frau mit der weißen Haut ihm ins Gesicht brüllte, aber die »Senora Blanca« war ganz offensichtlich wütend. Nun kletterte auch Juan, sehr viel ruhiger, aus dem Wagen und erklärte den Grund ihres Besuchs. Nach kurzem Zögern hob einer der beiden Bergbauern den linken Arm, und ein Dutzend Dorfbewohner traten näher. Die kleine Gruppe, die sich gebildet hatte, debattierte endlose Minuten, und der Ton der Diskussion verschärfte sich zunehmend. Susan kletterte auf die Motorhaube ihres Lastwagens und befahl Juan, die Hupe zu betätigen. Er gehorchte mit einem Lächeln. Die vom
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