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Wo bist du

Wo bist du

Titel: Wo bist du
Autoren: Unbekannter Autor
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langer Debatten hat er uns die Kleine schließlich überlassen. Ich war nicht sicher, ob sie die Reise üb erstehen würde, doch dort oben in den Bergen hätte sie nur noch wenige Tage zu leben gehabt. Ich versprach ihm, nach ein oder zwei Monaten mit ihr und einem Lastwagen voller Lebensmittel zurückzukommen, da hat er eingewilligt, der anderen wegen, denke ich. Und obwohl meine Absicht gut war, fühlte ich mich so schmutzig vor seinen Augen. Jetzt bin ich wieder in San Pedro, die Kleine schwebt immer noch zwischen Leben und Tod, und ich bin vollkommen ausgelaugt. Zu deiner Orientierung
    - Juan ist mein Assistent. Was soll diese blöde Anspielung! Ich bin nicht in einem Ferienlager in Kanada!!! Trotzdem umarme ich dich, Susan
    PS: Weil wir uns geschworen haben, uns immer die Wahrheit zu sagen, muss ich dir etwas gestehen: New York und du, ihr geht mir auf den Wecker mit euren Obdachlosen!
    Der Brief, den sie von Philip bekam, traf kurz darauf ein; er hatte ihn jedoch geschrieben, bevor er den ihren erhalten hatte.
    10. Mai 1975 Susan,
    auch ich schreibe dir recht spät. Ich habe wie ein Verrückter geschuftet und jetzt endlich meine Zwischenprüfungen hinter mir. Die Stadt hüllt sich wieder in ihre Maifarben, und das Grün steht ihr gut. Sonntag bin ich mit Freunden im Central Park spazieren gegangen. Die ersten Liebespärchen auf den Wiesen kündigen endlich den Frühling an. Ich steige aufs Dach meines Hauses und zeichne die Straßen zu meinen Füßen. Ich wünsche so sehr, du wärest hier. Ich habe für den Sommer ein Praktikum in einer Werbeagentur ergattert. Erzähl mir von deinen Tagen, wo bist du? Schreib mir schnell. Ich mache mir Sorgen, wenn ich lange nichts von dir gehört habe.
    Bis ganz bald, ich liebe dich,
    Philip
    Am Ende des Tals sah sie den ersten Schimmer des Morgengrauens. Bald strahlte die Piste im Sonnenlicht. Sie zog sich wie ein langer Strich durch die Weiden, die noch taubedeckt waren. Einige Vögel flatterten am blassen Himmel. Susan streckte sich, der Rücken tat ihr weh, und sie seufzte. Sie stieg die Leiter hinunter und lief barfuß zum Waschbecken. Sie wärmte sich die Hände über der Glut im Kamin. Sie griff nach einer Holzdose im Regal, das Juan an der Wand befestigt hatte, gab ein paar Löffel Kaffeepulver in die Kanne aus emailliertem Metall, füllte Wasser hinein und stellte sie auf den verbogenen, wackeligen Rost über der Glut.
    Während sich das Gebräu erhitzte, putzte sie sich die Zähne und betrachtete ihr Gesicht in dem kleinen Stück Spiegel, das mit einem Nagel an der Wand befestigt war. Sie schnitt eine Grimasse und fuhr sich mit der Hand durch das zerzauste Haar. Sie zog ihr T-Shirt zur Seite, um den Spinnenbiss an ihrer Schulter zu begutachten. «Mistvieh!« Sie kletterte die Leiter wieder hoch und durchsuchte ihr Bett in der Hoffnung, die Angreiferin zu erledigen. Als sie das Wasser kochen hörte, ließ sie von ihrem Vorhaben ab und stieg wieder nach unten. Sie umwickelte den Griff mit einem Lumpen, goss die schwarze Flüssigkeit in eine Tasse, nahm eine Banane vom Tisch und frühstückte draußen. Auf der Veranda schlürfte sie ihren Kaffee und ließ den Blick bis zum Horizont schweifen. Als ihre Hand über ihre Wade strich, lief ihr plötzlich ein Schauer über den Rücken. Sie sprang auf, ging zu ihrem Schreibtisch und griff nach einem Stift:
    Philip
    ich hoffe, diese kleine Nachricht erreicht dich schon sehr bald. Ich möchte dich um einen Gefallen bitten: Könntest du mir etwas Körperlotion und mein Shampoo schicken? Ich zähle auf dich. Das Geld bekommst du, wenn ich dich besuche. Küsse,
    Susan
    Es war Samstagabend, die Menschen drängten sich in den Straßen. Er setzte sich auf die Terrasse eines Cafés, um eine Skizze zu vollenden, und bestellte einen Filterkaffee - der Espresso hatte seinen Siegeszug über den großen Teich noch nicht angetreten. Sein Blick folgte einer jungen Blondine, die die Straße überquerte und auf eines der Kinos zusteuerte. Plötzlich hatte er Lust, einen Film zu sehen, zahlte und ging. Zwei Stunden später verließ er das Kino. Der Monat Juni schenkte der Stadt einen seiner schönsten Sonnenuntergänge. Der Gewohnheit getreu, die er vor Monaten angenommen hatte, nickte er dem Briefkasten einen Gruß zu, überlegte, ob er mit Freunden, die in einem Bistro in der Mercer Street verabredet waren, essen sollte, beschloss dann aber, nach Hause zu gehen.
    Er schob den flachen Schlüssel ins Schloss, suchte die einzige Position, in der
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