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Wo bist du und wenn nicht wieso

Wo bist du und wenn nicht wieso

Titel: Wo bist du und wenn nicht wieso
Autoren: Michael Mary
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Erwartung eine andere war als die Reaktion seiner Freundin. So ist es bei Verletzungen immer. Man kann nur verletzt sein, wenn man etwas anderes erwartet hat, als das, was passiert ist. Insofern braucht man kein großes Brimborium um Verletzungen zu machen und kann sie getrost aus der Ecke »darf nicht passieren« herausholen. Ungeachtet dessen sollte man sie ernst nehmen und nach den Erwartungen forschen, gegen die verstoßen wurde.
Die Lage erforschen
    Fred kann sagen: »Ich dachte, du würdest dich freuen« oder »Schade, ich dachte, ich hätte deinen Geschmack erraten« – und dann wären seine Erwartungen deutlich, und die beiden könnten darüber sprechen, wieso er das dachte. Vielleicht hat sie mal die Bemerkung gemacht »Fred lädt mich nie ins Kino ein« und dann wäre klar, wann seine Erwartung entstanden ist, und dass er seine Verbundenheit mit ihr ausdrücken wollte. Und schon tut es aufgrund dieser neuen Information nicht mehr weh.
    Auch im Falle von Verletzungen gilt also die grundsätzliche Herausforderung: in Beziehung bleiben und die Lage erforschen. Aber auch das kann ein hoher Anspruch sein, vor allem, wenn eine Entwicklung längere Zeit unterhalb der Bewusstseinsschwelle verlaufen ist, wenn sich Streit verfestigt hat und wenn Aussprachen nichts ergeben. Dann ist keiner der Partner bereit, die Jacke aufzuknüpfen und sich zu offenbaren, und jeder wartet darauf, dass der andere sich als Erster offenbart. Da beide verschlossen bleiben, kann nichts Auslösendes mitgeteilt werden, die Partner stecken fest. Dann ist es Zeit, über die Figuren zu sprechen, die da aneinandergeraten.
Wenn der Haussegen schief hängt
    Partner, die sich eine Zeit lang in Beziehungen aufhalten, kennen diese Situation. Man hat sich ineinander verbissen, ineinander verknotet und hängt fest. Was tun? Die Wortbilder »ineinander verbeißen« oder »verknoten« geben hierzu Hinweise. Wenn zwei ihre Lage so schildern, fehlt ihnen Abstand, und das in doppelter Hinsicht. Ihnen fehlt der Abstand zu sich selbst und der zum Partner. Dieser muss nun hergestellt werden, damit neue Informationen auftauchen können und Bewegung in die Sache kommt.
Zuschauer sein
    Gregor und Linda befinden sich in solche einer Lage, sie stecken fest. Deshalb haben sie von mir die Aufgabe bekommen, über sich und ihre Lage in der dritten Person zu sprechen. Die Formulierungen »Ich« und »Du« sind damit tabu, und es ist nicht erlaubt, sie zu benutzen. Erlaubt sind nur Formulierungen wie »der Mann« und »die Frau«. Diese Aufgabe zwingt die Partner dazu, sich so zu beschreiben, als würden sie auf einer Bühne auftreten, und sie selbst säßen im Publikum und schauten den beiden Akteuren zu. Auf diese Weise schaut man den Handelnden wie Fremden zu, deren Verhalten man sieht, über deren Gedanken, Gefühle und Motive man aber nur Vermutungen anstellen kann. Schließlich kennt man »die beiden« nicht, und genau hierin liegt der Schlüssel. Gregor und Linda glauben nämlich irrigerweise, sich zu kennen, ordnen sich deshalb sofort in Schubladen ein und reagieren damit auf sich selbst und nicht auf den anderen.
    Nach einigen Minuten gelingt es Gregor und Linda, sich »über« die beiden zu unterhalten, sie geraten also in eine Metakommunikation. Es ist erstaunlich, welche Informationen nun zutage treten. Beispielsweise sagt Gregor über den Mann auf der Bühne: »Ich glaube, der ist verletzt« – woraufhin Linda erwidert: »Meinst du? Der wirkt aber aggressiv und nicht verletzt. Was könnte ihn verletzt haben?« Linda wiederum sagt über die Frau: »Die hat Angst vor ihm«, was Gregor verwundert, weil sie »absolut cool rüberkommt, als ob er sie nicht interessiert«. Und schon sind die beiden in einem fruchtbaren Austausch gelandet. Nach 15 Minuten Metakommunikation ist viel Neues aufgetaucht. Dinge, die man nicht sah, die man so nicht sah oder die man anders verstanden hat. Und das eröffnet gute Möglichkeiten, in Beziehung zu bleiben.
    Der Trick bei dieser kleinen, aber hoch wirksamen Aufgabe besteht darin, sich selbst und dem Partner ein Fremder zu sein. Man spricht über sich, als wäre man nicht Ich, und dann sagt man Dinge, die man nicht sagen würde, solange man sich mit dem »Ich« identifiziert. Der Partner tut das Gleiche. Die neu auftauchenden Informationen lösen dann ein verändertes Verhalten aus. Ich lege Ihnen diese kleine Übung sehr ans Herz, wenn Sie in der Beziehung den Überblick verloren und sich ineinander verknotet
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