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Wissenschaft und Demokratie (edition unseld) (German Edition)

Wissenschaft und Demokratie (edition unseld) (German Edition)

Titel: Wissenschaft und Demokratie (edition unseld) (German Edition)
Autoren: Michael Hagner
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sind, um für die anstehenden Zwecke eingesetzt zu werden. An diesem Punkt kommen Werturteile ins Spiel. Sobald dieser Sachverhalt erkannt ist, kann den Wissenschaftlern, die eine Konsensmeinung vertreten, der Vorwurf gemacht werden, sie vernachlässigten das wissenschaftliche Ideal und ließen sich von unzulässigen Vorurteilen leiten. Zusätzlich kompliziert wird die Situation durch weitverbreitetes Mißtrauen gegenüber der Möglichkeit einer ernsthaften Wertediskussion. Der nachdenkliche Klimaforscher, der sein Urteil über Konsequenzen für den Menschen ausspricht, wird im Prinzip genauso behandelt wie die Verkünder von Ansichten, die frappierend mit den Zielen der Privatunternehmen übereinstimmen, die ihre Forschung finanzieren.
    Innerhalb der Familie und in kleinen Gemeinschaften ist eine lohnende Diskussion über Werte und Ziele durchaus möglich und sogar recht verbreitet. Die richtigen Sorgen, die man sich im Hinblick auf die »Experten« machen sollte, beziehen sich nicht darauf, daß sie überhaupt Werte ins Spiel bringen – das läßt sich sowieso nicht vermeiden –, sondern darauf, daß sie Werte ins Spiel bringen, die im Rahmen einer umfassenden demokratischen Diskussion nicht zu halten sind, da sie nicht den gemeinsamen Grundinteressen der weitaus meisten Angehörigen unserer Spezies entsprechen, sondern gewisse Spezialinteressen bedienen. Was wir dringend brauchen, sind Kommunikationskanäle, die solche Zweifel beschwichtigen. Daher mein (provisorischer) Vorschlag: Kleine, repräsentative Bürgergruppen sollten sich hinter die Kulissen begeben und nach ihrer Rückkehr über die Beschaffenheit des Konsenses und die betreffenden Werte berichten. Um auf Platons Herausforderung zu antworten, muß etwas dergleichen unternommen werden, damit der Ahnungslosigkeit der Öffentlichkeit, der die Zukunft unserer Kinder derzeit ausgeliefert ist, abgeholfen werden kann.
    Am Ende muß das demokratische Gespräch wirklich global werden. Was den Klimawandel betrifft, müssen die vom Weltklimarat eingeführten und ausgearbeiteten charakteristischen Verfahrensweisen in Diskussionen eingebettet werden, bei denen Bürger aus allen Weltgegenden und mit ganz verschiedenen Blickrichtungen zusammenkommen und gemeinsam Entscheidungen treffen. Die Gemeindeversammlungen, in denen Alexis de Tocqueville zu Recht ein pulsierendes Element der amerikanischen Demokratie erblickte, könnten auch in großem Maßstab stattfinden, wenn die Bürger – die Bürger dieser Welt – zusammenkämen, um das oben im zweiten Abschnitt skizzierte mehrstufige Gespräch zu führen. Keiner sollte annehmen, daß das unproblematisch ist, noch sollte man davon ausgehen, daß dem Unternehmen unbedingt Erfolg beschieden sein muß. Doch wenn wir es vermeiden wollen, daß Platon mit seinem ätzenden Lachen als letzter lacht, fällt es schwer, sich eine ernstzunehmende Alternative vorzustellen.
    Aus dem Englischen von Joachim Schulte

Nachbemerkung
    Die Beiträge dieses Buches basieren mit Ausnahme des einleitenden Essays und des Textes von Philip Kitcher auf Vorträgen, die anläßlich des Latsis-Symposiums »Science and Democracy« im Mai 2011 an der ETH Zürich gehalten wurden. Diese Tagung, dem Andenken des 50 . Todestages von Ludwik Fleck gewidmet, habe ich gemeinsam mit Johannes Fehr, dem Leiter des Ludwik Fleck Zentrums am Collegium Helveticum, konzipiert. Durchgeführt wurde sie zusammen mit dem Collegium Helveticum und dem Zentrum Geschichte des Wissens, beide gemeinschaftliche Einrichtungen der ETH und der Universität Zürich. Mein Dank gilt neben Johannes Fehr insbesondere Rainer Egloff, Kijan Malte Espahangizi und Gerd Folkers für die schöne Zusammenarbeit. Joachim Schulte danke ich für seine famose Übersetzung der Texte von Abbott, Cooter, Gordin, Kitcher, Latour und Rose, Cédric Perriard für seine redaktionelle Durchsicht aller Beiträge. Ebenso danke ich Claudine Cohen und der École des hautes études en sciences sociales in Paris für die Möglichkeit, die Arbeit an diesem Buch in Ruhe zu beenden. Die Zusammenarbeit mit Heinrich Geiselberger und Christian Heilbronn vom Suhrkamp Verlag war eine Freude, und schließlich danke ich der Fondation Latsis Internationale, deren großzügige Förderung die Veranstaltung und das Buch überhaupt erst ermöglicht hat.
     
    Paris, im Juni 2012

Über die Autorinnen und Autoren
    Andrew Abbott ist Professor für Soziologie an der University of Chicago. Zu seinen Veröffentlichungen gehören The
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