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Wissenschaft und Demokratie (edition unseld) (German Edition)

Wissenschaft und Demokratie (edition unseld) (German Edition)

Titel: Wissenschaft und Demokratie (edition unseld) (German Edition)
Autoren: Michael Hagner
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(wie die Industriellen sagen) »lästigen« Regulierungsmaßnahmen. In Großbritannien und den USA ist die Situation besonders unheilvoll. Ein offenkundiger Faktor, der hilft, diese Widerrufung zu erklären, ist der Zustand der globalen Wirtschaft: Im Grunde ziehen die Nationalstaaten voreilige Schlüsse hinsichtlich der Diskussionen auf der dritten und vierten Ebene, denn aus ihrer Sicht sind ihre derzeitigen ökonomischen Aussichten gefährdet. Verstärkt wird der Rückzug aus der aktiven Klimapolitik dadurch, daß die Öffentlichkeit Zweifel an der Notwendigkeit hegt, dieser Frage Aufmerksamkeit zu schenken. Im Anschluß an gewisse Enthüllungen über E-Mails zwischen Klimaforschern und einen (geringfügigen) Fehler in einem Abschnitt des IPCC -Berichts haben viele Medien herumgetönt, das Gerede von der Erderwärmung sei eine Ente. Die Anzahl amerikanischer Senatoren und Angehörigen des Repräsentantenhauses, die geneigt sind, diese Auffassung zu akzeptieren, reicht aus, um ernsthafte politische Entscheidungen seitens der größten Wirtschaftsmacht der Erde unmöglich zu machen. Die Vereinigten Staaten haben zwar das Glück, einen Präsidenten zu haben, der von dieser Problematik ein wenig versteht, doch ihm sind die Hände gebunden, und seine Aufmerksamkeit ist abgelenkt. Außerdem ist es möglich, daß sein zukünftiger Nachfolger den großen Ölkonzernen nahesteht und völlig davon überzeugt ist, daß Warnungen vor der zunehmenden Erdtemperatur nichts weiter sind als skandalöse Lügen.
    Es gibt eine von der Yale University veröffentlichte Studie zu den Einstellungen der Amerikaner, die von manchen Autoren zum Anlaß genommen wird, ein tröstlicheres Bild zu zeichnen. Die Studie kam unter anderem zu folgenden Ergebnissen:
    Die Mehrheit ( 63 Prozent) der Amerikaner hat erkannt, daß die Erderwärmung tatsächlich voranschreitet, während 19 Prozent behaupten, es gebe sie nicht, und 19 Prozent sagen, sie wüßten es nicht.
    Die Hälfte der Amerikaner ( 50 Prozent) sagt: Wenn die Erderwärmung real ist, ist sie hauptsächlich durch menschliches Handeln verursacht. Über ein Drittel ( 35 Prozent) sagt: Falls sich die Erde tatsächlich erwärmt, sind die Ursachen natürlicher Art, während sieben Prozent die Frage zurückweisen und sagen, es gebe gar keine Erderwärmung.
    39 Prozent sagen, die meisten Wissenschaftler seien der Ansicht, daß die Erderwärmung voranschreitet, während 38 Prozent behaupten, die Wissenschaftler seien ganz unterschiedlicher Meinung darüber, ob die Erderwärmung im Gange ist oder nicht.
    Gut die Hälfte aller Amerikaner gibt an, sie mache sich sehr große ( 16 Prozent) oder ziemlich große Sorgen ( 39 Prozent) wegen der Erderwärmung, während 45 Prozent sagen, sie machten sich keine großen ( 26 Prozent) oder gar keine Sorgen ( 19 Prozent). 6
    Eigentlich sind diese Zahlen nicht sonderlich beruhigend. Erstens gilt es festzuhalten: Die Wahrscheinlichkeit einer Konjunktion kann den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung entsprechend nicht größer sein als die Wahrscheinlichkeit ihres am wenigsten wahrscheinlichen Konjunktionsgliedes. Also glauben höchstens 50 Prozent der amerikanischen Bevölkerung an anthropogene Erderwärmung. Offenbar sind die Amerikaner über den außergewöhnlichen internationalen Konsens unter Klimaforschern gar nicht gut unterrichtet. Offensichtlich handelt es sich auch nicht um ein Gebiet, das den amerikanischen Bürgern große Sorgen bereitet.
    Die Tatenlosigkeit der letzten Regierungen der Vereinigten Staaten spiegelt also die Stimmung des Volkes wider. Man könnte meinen, genauso solle es sich in einer Demokratie auch verhalten. Denn einer schlichten Auffassung der Implikationen von Demokratie zufolge sollte die Politik dem Willen der Öffentlichkeit entsprechen. Wenn die Öffentlichkeit nicht glaubt, daß eine bestimmte Frage behandelt werden sollte, sei es auch völlig richtig, daß in dieser Sache nichts unternommen wird. Platon meinte, darauf sei die Demokratie grundsätzlich festgelegt; und da er erkannte, daß viele Menschen über das, was wirklich in ihrem Interesse liegt, getäuscht oder in die Irre geführt werden können, zog er den Schluß, die Demokratie sei eine politische Katastrophe.
    Viele Freunde der Demokratie sind ebenso wie Platon der Meinung, das von ihnen befürwortete politische System sei auf diesen Grundsatz festgelegt. Da sie außerdem die Möglichkeit einräumen müssen, daß die tatsachenbezogenen Meinungen der Öffentlichkeit
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