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Wir zwei sind Du und Ich

Wir zwei sind Du und Ich

Titel: Wir zwei sind Du und Ich
Autoren: Diana Raufelder
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dass sie so wenig über ihre Mutter weiß. Wieso hatte sie sie nie vorher danach gefragt?
    „An einem warmen Sommerabend saßen wir auf dem Nachhauseweg noch am Rheinufer. Wir haben erzählt und den Sonnenuntergang bewundert, als er seinen Arm um mich legte und wir uns küssten.“ Verträumt schaut Ris Mutter aus dem Fenster.
    „Erst ganz vorsichtig und dann durchflutete ein warmer Schauer meinen Körper, dass plötzlich alles egal war. Vergessen. Wie eine Welle überrollte mich dieser Kuss.“
    Die verschränkten Arme auf dem kleinen Holztisch aufgestützt, sitzt Frau Lehmann Ri gegenüber und schaut ihre Tochter jetzt erwartungsvoll an.
    „Und bei dir?“
    „Mama!“, ruft Ri entsetzt. „Darüber redet man doch nicht mit seiner Mutter!“
    Frau Lehmann muss lachen. Ganz herzlich, von innen heraus. Ri ist erleichtert. Sie hätte ihrer Mutter nie von ihrem ersten Kuss letzten Sommer im Feriencamp erzählen können. Alex war nämlich kein Junge in ihrem Alter gewesen, sondern einer der Betreuer. Sie liebte es, wenn er abends am Lagerfeuer saß, Gitarre spielte und mit seiner wunderbaren Stimme für sie sang. Wenn alle schliefen, trafen sie sich am See. Unbemerkt – heimlich und leise. Bevor er sie küsste, sang er ihr „Sisters of Mercy“ von Leonard Cohen ins Ohr. Bei der Erinnerung daran, überkommt Ri selbst jetzt noch eine Gänsehaut.
    „Erzähl mir lieber, wie das mit Olaf weiterging“, bettelt Ri schnell, um von der Erinnerung an ihren ersten Kuss abzulenken. Dafür war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.
    Frau Lehmann nimmt einen großen Schluck Café Latte und genießt es sichtlich, Ri auf die Folter zu spannen. Ri freut sich, ihre Mutter so fröhlich zu sehen. Sie sieht gleich viel jünger aus, denkt Ri.
    „Jetzt sag schon, Mama!“, drängelt sie und mit einem Mal ist wieder diese gewohnte Vertrautheit zwischen ihnen, die sie in den guten Zeiten verbunden hat.
    „Eigentlich ist es eine traurige Geschichte“, sagt Frau Lehmann jetzt. „Wir sind kurz darauf nach Berlin gezogen, weil mein Vater versetzt wurde. Olaf und ich haben uns nie wieder gesehen.“
    „Wirklich?“
    Frau Lehmann nickt.
    „Warst du sehr traurig?“
    „Und wie! Ich habe sein Foto immer mit mir rumgetragen. Ständig habe ich es mir angesehen. In der Schule, in der U-Bahn und nachts, wenn ich vor Sehnsucht nicht schlafen konnte.“
    „Und er?“
    „Anfangs haben wir uns geschrieben. Fast täglich. Aber dann kamen seine Briefe in immer größeren Abständen. Irgendwann hat er einfach nicht mehr geschrieben. Eine Freundin erzählte mir dann, dass Olaf eine neue Freundin habe.“
    Ri schaut traurig. Sie bedauert, dass ihre Mutter so enttäuscht wurde.
    „Wie alt warst du da?“
    „Fünfzehn. So wie du jetzt.“
    Nachdenklich und vielleicht auch mütterlich fürsorglich blicken ihre warmen, braunen Augen auf Ri.
    „Und dann hast du Papa kennengelernt?“, fragt Ri.
    „Ja, aber erst viel später. Mit neunzehn.“ Frau Lehmann hält inne.
    „Warum er?“ Ris Stimme ist leise und ernst. Sie kann nicht verstehen, warum ihre Mutter mit ihrem Vater zusammen ist. Nichts an ihm erscheint ihr liebenswert.
    „Ich habe ihn geliebt“, sagt Frau Lehmann. „Er war so stark, so wild. Voller Energie. Und ich liebe ihn immer noch. Hinter seinen Taten stecken keine bösen Absichten. Er hat einfach zu viel Kraft. Verstehst du?“
    Ri schüttelt den Kopf.
    „Als wir uns kennenlernten, war dein Vater so ein Junge, den man besser nicht seinen Eltern vorstellte. Unkonventionell, trotzig und leidenschaftlich“, erzählt Frau Lehmann weiter. Ri lauscht aufmerksam und versucht sich ihren Vater so jung vorzustellen, aber es gelingt ihr nicht. Nichts von den Beschreibungen ihrer Mutter scheint auf ihren Vater zu passen.
    „Ich verliebte mich sofort in seine langen, wilden Haare. Als ich ihn das erste Mal auf einer Fete sah, wollte ich mit beiden Händen in diese Locken greifen.“
    Wieder lächelt sie, wie wenn man einem vertrauten Geist aus der Vergangenheit begegnet.
    „Jetzt hat er aber keine Haare mehr“, sagt Ri so trocken und nüchtern, dass Frau Lehmann lachen muss.
    „Stimmt doch!“, sagt Ri trotzig. „Haare hat er keine mehr und unkonventionell ist er auch nicht mehr“, summiert Ri schließlich die Lage. „Also, was ist passiert?“
    Ri kommt es wie eine Ewigkeit vor, dass ihre Mutter sie durchdringend anschaut. Dann legt sie ihre warme Hand behutsam auf Ris Arm.
    „Du bist passiert“, sagt sie ruhig und lächelt Ri an.
    Ri
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