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Wir Tiere: Roman (German Edition)

Wir Tiere: Roman (German Edition)

Titel: Wir Tiere: Roman (German Edition)
Autoren: Justin Torres
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einem Mann aus dem Nahen Osten mit der Hautfarbe und der Statur unseres Pap s ’, das Kleingeld hin.
    »Sie könnten unser Vater sein«, sagte ich, und Manny und Joel mussten vor Lachen husten.
    Der Mann besah sich unsere Münzen. »Das langt nicht.«
    Wir klopften unsere Taschen ab, taten so, als würden wir suchen, fanden nichts. Das Licht im Laden erschwerte unser lässiges Spielchen; das Furnier des Tresens war von all den Münzen durchgescheuert. Der Mann war überhaupt nicht wie unser Paps.
    »Na los, nehmt schon«, sagte er. »Haut ab.«
    Also schlenderten wir zu unserer Streunerin zurück, schnappten uns unterwegs, was immer wir am Straßenrand fanden, und warfen es zwischen die Bäume. Wenn etwas davon – ein Stein, ein Stück Autoreifen – landete, ohne ein Geräusch zu machen, brachen wir in Freudenschreie aus. Manchmal taten wir so, als hätten wir das Krachen nicht gehört, und jubelten trotzdem.
    Als Milchschale nahmen wir den Plastikdeckel eines Zwanzig-Liter-Behälters, und die Milch bildete nur eine dünne Schicht. Sah nach nicht viel aus. Unsere Streunerin hob kaum die Schnüffelnase.
    »Die wird schon fressen«, sagte Joel, »wenn wir weg sind.«
    Das hatten wir uns immer gesagt, wenn wir uns um unsere Ma Sorgen machten.
    Die Kätzchen krallten und drängelten sich in dem saugenden Haufen; manche schienen an der Zitze eingeschlafen zu sein. Es waren hässliche, verzweifelte kleine Dinger.
    »Wie lange dauert es, bis die Kätzchen da vergessen, dass sie aus einem Wurf sind, miteinander streiten und vögeln?«, fragte Manny. »Wie lange, bevor sie den Spacko rausschmeißen?«
    Die beiden kicherten, und sie kicherten über mich, die Elfe, den Kümmerling, den Spacko unseres Wurfs; wir waren selbst mal solche Kätzchen gewesen – drei durch dick und dünn und warm. Und wir hatten bis aufs Blut um eine Dose Kondensmilch gekämpft. Und »den Spacko rausschmeißen« war wohl der übelste Streich, den sie mir je gespielt hatten.
    »Fickt euch«, sagte ich. Ich hatte nicht halb so viel getrunken wie die beiden – ich nahm nur kleine Schlucke oder ließ den Mund zu und tat nur so. Aber ich hatte genug getrunken, um über den Klang und die Giftigkeit meiner eigenen Stimme verwundert zu sein. »Und scheiß auf dieses Herumgeschleiche. Was machen wir hier draußen überhaupt?«
    »He«, machte Joel.
    »Immer mit der Ruhe«, sagte Manny. »Mach dir nur keinen Knoten in den Schlüpfer.«
    Sie prusteten durch die Nasen.
    »Ich hab genug davon. Das ist doch scheiße, dieses Herumgeschleiche.«
    »Wer schleicht denn?«, fragte Manny. »Ich steh nur hier.«
    »Bist n echtes Arschloch«, sagte ich. »Schau doch mal in den Spiegel. Kannst du dich überhaupt sehen? Ständig erzählst du was von Gott. Und im nächsten Augenblick was von Weibern. Du hast doch von beidem keine Ahnung – Gott findet dich bestimmt genauso widerlich wie die Mädchen.«
    »Oh, Scheiße!«, sagte Joel erfreut.
    »Was, freut dich das vielleicht?«
    »Irgendwie«, antwortete Joel.
    »Irgendwie«, äffte ich ihn nach. »Ihr seid solche Ignoranten. Ich finde euch peinlich. Wisst ihr das eigentlich? Dass ich euch peinlich finde?«
    »Hast du das gehört?«, sagte Manny zu Joel. »Wir sind ihm peinlich.«
    Schaut euch meine Brüder an – ihre schlabbrigen Klamotten, ihre dunkel umrandeten Augen, wie permanent blau geschlagen, ihre hungrigen Galgenvögelgesichter. Ich kam mir vor wie in der Falle, war voller Hass, war beschämt. Heimlich hatte ich außerhalb der Familie einen Hang zur Sprache entwickelt, eine bittere Bosheit. Ich führte ein Tagebuch – darin fand ich scharfe Schimpfwörter für sie alle, meine Leute, meine Brüder. Ich sah sie mit anderen Augen, mit neuem spöttischem Blick. Ich spürte die ausgeprägte Kraft der Beobachtung in mir, eine Intelligenz, die versauerte. Ma und Paps hatten sich mit mir ohne die beiden anderen über meine Berufschancen unterhalten, über diese Belesenheit, die mich von meinen Brüdern unterschied; beide ermutigten mich, davon auch Gebrauch zu machen – sie deuteten an, dass ich es im Leben leichter haben würde als sie, als es meine Brüder jemals haben würden, und ich hasste sie dafür.
    Das Schlimmste aber war das Mitleid.
    »Wisst ihr was? Vergesst’s«, sagte ich. »Egal.«
    Sie ertrugen mein Mitleid nicht.
    »Bist doch selbst n Arschloch«, sagte Joel.
    Manny streckte die Hände aus und formte einen Schneeball. Er nahm einen Ast, warf sich den Ball selbst zu und peitschte ihn durch die
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