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Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Titel: Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
Autoren: Carl Hanser Verlag
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alias Paul Stern, Sohn eines jüdischen Kohlenhändlers, hat unseren ehrenwerten, hochverdienten Oberkommissar Ziegen erschossen. Der starb in Ausübung seiner Pflicht, die Stadt von Saboteuren und Volksverrätern zu säubern ...
    Sie hatten ihn bestimmt nicht erwischt, es hätte sonst in der Zeitung gestanden!
    Also hoffte sie weiter. Tag für Tag.
    »Morgen bestimmt«, hatte sie anfangs gesagt.
    »Heute vielleicht«, hatte sie schließlich gemurmelt. Ihre Zweifel waren größer geworden, ihre Hoffnung kleiner.
    Sie schrieb ihm Briefe: Du machst Türen auf, öffnest neue Welten ... Und verbrannte sie wieder.
    Sie schrieb in ein Heft, das sie unter ihr Kopfkissen stopfte: Ist Liebe in einer solchen Zeit möglich? Und sie antwortete sich selbst: Ja, ja, ja. Wir hatten sie doch! Und war erschrocken, dass sie plötzlich die Vergangenheit gebraucht hatte.
    Tag und Nacht dachte sie jetzt nur noch an Paul. Je länger er weg war, desto mehr brannte Pauls Gegenwart auf ihrer Haut. Sie fuhr sich durch die Haare, so wie Paul es getan hatte, ganz schnell beim Kranzbinden. Sein Kuss lag noch auf ihren Lippen. Sie konnte ihn auch nicht wegwischen.
    Doch irgendwann schwand ihre Zuversicht. Und wechselte in ein stumpfes Warten, ein langes, ödes Brüten, bei dem sie Blumen aufband, Grün schnitt, Kränze auslieferte. Sie arbeitete mechanisch, sie hatte keine Freude mehr. Die Tage ohne Paul waren ein Einerlei und sie konnte sich kaum noch auf die Arbeit konzentrieren. Auch von Hotte hatte sie schon lange keine Nachricht mehr erhalten. Ob seine Stummheit mit dem Fernbleiben von Paul zu tun hatte?
    Immer öfter schimpfte die Tante: »Heute waren die Zweige schief.« Oder: »Hast du vergessen, die Schleife aufzubinden?«
    Franzi antwortete: »Mir ist nicht gut«, oder sie schüttelte nur schweigend den Kopf.
    »Gestern hatten wir keinen Fliegeralarm«, sagte Franzis Tante fast erstaunt an einem Montagmorgen. »Vielleicht ist das ein Zeichen. Vielleicht ist der Krieg bald vorbei.«
    Der erste Tag ohne Alarm seit Monaten, darüber sprachen alle, als Franzi und ihre Tante beim Trümmerräumen halfen. Ein paar Tage zuvor waren Sprengbomben auch auf Ehrenfeld gefallen. Doch Franzi konnte selbst da keine Hoffnung spüren. Sie konnte sich ein Leben ohne Krieg, ohne ihren Bruder, ohne ihre Freunde, vor allem aber ohne ihren Paul nicht vorstellen. Sie wollte es auch nicht. Erschöpft ließ sie sich aufs Bett fallen. In ihrem Kopf rasten die Gedanken, fuhren Zickzackkurven und drehten sich doch immer nur um die inzwischen stumme Frage: »Paul, wo bist du?«

    BASTIAN
    GING
    WEITER. Es gab Stunden, da wusste er genau: Ich gehe Richtung Süden, nach Pfronten. Da hatte er Kraft. Da nahm er seine Umgebung wahr und lief einem Ziel entgegen.
    Aber dann gab es Tage, da trottete er nur stumpf weiter. Lag es am Hunger? War es der Durst? Oder machte die ständige Bedrohung ihn langsam so mürbe, dass er nichts mehr merkte?
    An einem solchen Tag, wo er nur auf seine Füße starrte, bremste plötzlich neben ihm ein Auto. Er hatte es nicht kommen gehört. Und zum Davonlaufen fehlte ihm die Kraft.
    »Papiere her!« Da Bastian keinen Ausweis hatte, bellte der Polizist: »Ab zur Polizeiwache!«
    Eine Nacht verbrachte er in einer engen Zelle. Da war es wenigstens warm und trocken. Und eine Suppe gab es auch.
    Die Gestapo wurde eingeschaltet. Bastian wurde einem älteren SD-Offizier vorgeführt, der ihn an eine Bulldogge erinnerte. Eine platte Nase in einem rundlichen Gesicht, die Stirn in Falten. Doch sein Lächeln war freundlich und er entblößte eine Reihe weißer Zähne.
    »Wie heißt du?« Eine schneidende Stimme, die so gar nicht zu dem Gesicht passte, ließ ihn zusammenzucken. Instinktiv stotterte er den Mädchennamen seiner Mutter und nannte sich Fritz.
    »So, Fritz Wils, dann erzähl mir mal, woher du kommst und warum du keine Papiere hast.«
    Bastian holte tief Luft und erzählte seine Geschichte.
    Der Mann folgte aufmerksam seinen Worten. Ab und zu lächelte er. Vielleicht hilft er mir, dachte Bastian. Er schaute sich immer wieder um. Da war kein Kollege mit Peitsche, keine Bedrohung aus dem Hinterhalt.
    »Und wo bist du überfallen worden?« Die Stimme des Mannes wirkte weich und einfühlsam.
    Bastian sah ein Bild auf dem Schreibtisch, Frau und Kinder. Das Fenster war einen Spalt geöffnet und der Vorhang bewegte sich leicht in einem sanften Luftzug. Es war schön, einfach zu sitzen. Er lehnte sich zurück.
    Und er hatte keine Lust mehr zu lügen.
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