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Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Titel: Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Deshalb sagte er: »Das stimmt alles nicht. Ich heiße Sebastian Frei und ich bin geflohen.«
    Zwei Stunden lang wartete Bastian mit anderen Verhafteten schweigend in einem Raum. Jedes Wort war verboten, Zuwiderhandlung wurde mit der Peitsche beantwortet.
    »Alle ab zum Transport!«, brüllte eine Stimme, als es schon dunkel wurde. Sie wurden hinausgestoßen und von Polizisten zu der mit Planen abgedeckten Ladefläche eines Lastwagens getrieben.
    »Soll der mit? Wir fahren doch nicht in den Kindergarten.«
    Ein hartes »Ja« des Scharführers war die Antwort.
    Zwanzig Männer und Frauen saßen eng zusammengedrängt auf der offenen Ladefläche, zwei Wachsoldaten mit geladener Pistole am Ausstieg.
    Bastian hatte zunächst Angst, dass sie ihn nach Köln zurückbringen würden. Doch der Wagen fuhr und fuhr. Es ging also nicht nach Köln. Und die Verhafteten rückten noch enger zusammen, versuchten, sich gegenseitig zu wärmen, denn die Plane bot keinen Schutz gegen die mächtige Kälte. Eine ganze Nacht dauerte die Fahrt. Schließlich erreichten sie im Morgengrauen ein Barackenlager.
    Von anderen Häftlingen, die an ihnen vorbeigeführt wurden, erfuhren sie, dass sie sich in einem Nebenlager des KZ Dachau befanden.
    In den Unterkünften herrschte große Enge. Es waren Bretterbuden mit dreistöckigen, kargen Pritschen, auf denen jeweils zwei schliefen. Bastian teilte sein Lager mit Alfons. Der war vielleicht einfach im Kopf, aber flink auf den Beinen und hatte Saft in der Faust.
    Schon im Dunkeln wurden sie morgens aus den Betten getrieben. Antreten zum Appell. Wer krank war, wurde mit Stiefeltritten hinausgezerrt. Zu essen gab es Wassersuppe und ein Stück Brot, zweimal am Tag. Arbeiten mussten sie zwölf Stunden: Sie sollten das Lager noch weiter ausbauen. Alle Tage waren gleich. Sie arbeiteten in der Kälte, bis ihre Hände schon lange taub waren.
    Doch Alfons wärmte ihn in der Nacht, wenn die Kälte gar nicht aus seinem Körper herausziehen wollte.
    Weihnachten war schon vorbei. Bastian hatte vor Tagen Glockengeläut gehört mitten in der Nacht. Dem folgte der kalte Januar.
    Alfons war immer neben ihm, und sie halfen sich, wo sie konnten. Sie sprachen sich gegenseitig Mut zu. Das tat gut in einer Umgebung, in der Stiefeltritte, Befehle und brutale Strafen alles Menschliche vertrieben hatten.
    Morgens trottete er neben Alfons hinter den andern her, Lappen um die Füße, die Holzpantinen fast eingesackt im Matsch der Wege. Wenn der Matsch gefroren war oder gar dünner Schnee lag, hatten sie Glück. Dann war der Himmel klarer. Aber die Atemwolke stand vorm Mund und das hieß: steife Finger, kalte Ohren schon nach kurzer Zeit. Frost, der einem langsam in die Knochen zog.
    Und dazu die Peitsche. Bastian hatte sie einmal zu spüren bekommen, als ihm ein großer Stein auf den Boden gefallen und zerbrochen war. Seitdem war seine Schulter steif. Nur unter Schmerzen konnte er den Arm nach hinten bewegen.
    Bastian dachte: Schlimmer kann es nicht mehr werden.
    Aber dann kam der Befehl: Gleise reparieren. Bei einem Angriff war die Strecke nach Pasing zerstört worden. Nachdem ein anderer Bautrupp aus dem Lager die Gleisreparaturen beendet hatte, sollten sie das Gleisbett wieder stabilisieren.
    Bastian hatte zum ersten Mal in seinem Leben eine Stopfhacke in der Hand, mit der er wie alle anderen Schotter unter die Eisenbahnschwellen stopfen sollte.
    Nach einem Tag schmerzte seine Schulter höllisch und seine Hände waren so zerschunden, dass er meinte, nie mehr etwas greifen zu können. Viele ältere Männer brachen zusammen, wurden aber weiter zum Bahndamm geprügelt. Bastian war klar, dass auch er solchen Anstrengungen nicht lange gewachsen sein könnte. Und das gleiche Empfinden hatte Alfons.
    Da fassten sie einen Entschluss, Alfons und er. Sie würden fliehen. Das war der einzige Ausweg, der denkbar war.
    Nachts auf ihrer Pritsche redeten sie flüsternd davon. Über Tag dachten sie daran, stellten sich genau vor, wie sie bei Gleisarbeiten auf einen fahrenden Zug springen und sich vor möglichen Schüssen schützen würden. Sogar die Arbeit wurde dabei leichter.
    Auch das Wetter wurde milder, die Tage länger. Sogar die Sonne blitzte immer wieder zwischen düsteren Wolken durch.
    Die beiden planten jeden Sprung, jede Bewegung. Sie sahen sich die Waggons an der Rampe genau an und wussten, wohin sie springen müssten und wo sie sich festhalten könnten. In Gedanken waren sie schon hundertmal gesprungen.
    »Morgen«, sagte Alfons
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