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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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dran«, sagte Lummer.
    Louise runzelte die Stirn. »Womit?«
    »Seien Sie wenigstens ehrlich«, antwortete Lummer schnaubend. »Als ob Sie mich am Leben lassen könnten, nach allem, was ich gesehen habe.«
    »Sie meinen, dass man uns nicht töten kann und wir Menschen das Blut aussaugen, um selbst am Leben zu bleiben?«, sagte Louise. Sie klang beinahe ein bisschen überrascht; als wäre sie selbst noch gar nicht auf diese Idee gekommen. Dann nickte sie. »Ja, das könnte in der Tat zu einem Problem werden. Für Sie, meine ich. Bisher sind Ihre Kollegen wahrscheinlich nur hinter Ihnen her, weil Sie sich von Stepan haben kaufen lassen. Wenn Sie diese Geschichte erzählen, dann bekommen Sie es auch noch mit den Jungs mit den weißen Turnschuhen und den Zwangsjacken zu tun.« Sie stand auf. »Tun Sie sich nur keinen Zwang an, Herr Hauptkommissar. Vielleicht komme ich Sie ja in zwanzig Jahren mal in der Klapse besuchen und sehe nach, wie es Ihnen geht.« Sie bleckte die Zähne. »Oder hole mir Ihr Blut.«
    Lummer sah nur mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und aufkeimender Hoffnung zu ihr hoch, und Louise weidete sich unverhohlen an diesem Ausdruck, bevor sie wieder zum Fenster ging. Lena hörte, wie der Hubschrauber draußen im Park zur Landung ansetzte. Das Telefon schrillte immer noch, und nun begann auch Louises Handy zu plärren.
    Tom bewegte sich. Seine Augen blieben noch geschlossen, aber Lena spürte, wie sich dahinter etwas regte, wie das unsichtbare schlafende Herz tief unter seinen Gedanken schneller und immer kraftvoller zu schlagen begann.
    »Tom?«, sagte sie.
    Sie bekam keine Antwort, aber Toms Lider flatterten heftiger. Seine Hand tastete blind umher und schloss sich mit fast schmerzhafter Kraft um Lenas Finger, als sie danach griff.

    »Tom?«, sagte sie noch einmal. Sie bekam auch jetzt nur ein gehauchtes Stöhnen zur Antwort, aber sie hatte das sichere Gefühl, dass er auf den Klang ihrer Stimme reagierte. Sein Griff wurde noch fester, beinahe als wollte er sich mit aller Kraft an etwas festklammern, was ihn im Leben hielt.
    Louise sog plötzlich scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, und als Lena aufsah, erkannte sie, wie angespannt sie auf einmal dastand.
    »Was ist los?«, fragte sie.
    Sie bekam keine Antwort, also löste sie behutsam ihre Hand aus Toms Umklammerung und ging zu ihr.
    Im allerersten Moment fiel ihr nichts Ungewöhnliches auf, außer dass jetzt ein schlanker Helikopter mit schwarz getönten Scheiben auf dem Rasen vor dem Haus hockte. Die Rotoren liefen heulend aus und zeichneten mit ihrem künstlichen Sturmwind verwirrend symmetrische Muster in das kurz geschnittene Gras. Im grauen Licht der heraufziehenden Dämmerung sah er aus wie ein gefährlicher fliegender Raubfisch, der nur vermeintlich reglos dort kauerte, in Wahrheit aber sprungbereit auf Beute lauerte.
    Dann begriff sie.
    »Das ist nicht der Helikopter, auf den du wartest, nicht wahr?«, fragte sie.
    Weder antwortete Louise, noch reagierte sie in irgendeiner anderen Weise, aber das war auch nicht nötig, denn im nächsten Moment sah Lena es: Die Seitentür des Hubschraubers ging auf, und zwei, drei, vier, fünf Gestalten sprangen heraus und huschten geduckt auf das Gebäude zu. Sie waren schwarz gekleidet und bewegten sich rasch und lautlos wie Schatten, aber Lenas Augen waren scharf genug, um sie sofort erkennen zu lassen, womit sie es zu tun hatten. Die Männer trugen nicht nur schwarze Overalls und Stiefel und Handschuhe und gleichfarbige schusssichere Westen, sondern auch Helme mit sonderbar
vorgestülpten eckigen Augen und Gewehre mit kurzen, aber viel zu breiten Läufen. Nachtsichtgeräte und kurzläufige Pumpguns, an denen zweckentfremdete Taschenlampen befestigt waren.
    Stepan selbst stieg als Letzter aus der Maschine, und er bot vielleicht den sonderbarsten Anblick von allen: Er trug einen knöchellangen dunklen Mantel, der irgendwie so aussah, als wäre er ihm um mindestens zwei Nummern zu groß, glänzende schwarze Stiefel und eine hohe Pelzmütze. Anders als seine Männer trat er fast gemächlich aus dem Helikopter, machte nur einen einzelnen Schritt und legte dann den Kopf in den Nacken, um zu ihnen heraufzusehen; als wüsste er ganz genau, hinter welchem der zahlreichen Fenster sie standen.
    »Wie zum Teufel hat er uns gefunden?«, murmelte Louise.
    Es war eine rein rhetorische Frage, aber sie bekam trotzdem eine Antwort, von Lummer, der aufgestanden und ihnen gefolgt war.
    »Was haben Sie denn gedacht?
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