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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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Dass wir die Einzigen sind, die die Daten eines Peilsenders auslesen können?«
    »Peilsender?« Louise sah ihn verständnislos an.
    »Gusows Wagen hat ein GPS-System«, sagte Lummer. »Die Dinger können nicht nur Daten empfangen, sondern auch senden. Jedenfalls ab einer gewissen Preisklasse … sagen Sie nicht, Sie hätten das nicht gewusst.«
    Louise sagte gar nichts, ihr betroffener Gesichtsausdruck dafür aber umso mehr. Sie hatte es wirklich nicht gewusst - oder schlichtweg vergessen.
    »Ich wundere mich eher, dass er so lange gebraucht hat«, fuhr Lummer fort. »Tom und ich hatten fest damit gerechnet, dass er vor uns hier ist.« Er sah stirnrunzelnd zu Stepan hinunter, der immer noch dastand und zu ihnen heraufstarrte, und machte ein erstauntes Gesicht. »Wie sieht der denn aus? Ist der etwa den Donkosaken entsprungen?« Stepans Begleiter hatte er offenbar nicht gesehen.

    Der Strigoi hörte endlich auf, sie anzustarren, und verschwand mit schnellen Schritten aus ihrem Blickfeld. Im gleichen Moment erwachte Louise aus ihrer Starre. Ohne Lummer eines Blickes zu würdigen, wandte sie sich um und ging zum Telefon, das sie mit einer beiläufigen Bewegung zertrümmerte. Dann hob sie Lummers umgebaute Pistole auf, die daneben lag, und reichte sie Lena. Toms großkalibrigen Revolver schob sie sich unter den Hosenbund.
    »Pass auf die beiden auf«, sagte sie grimmig. »Ich versuche ihn aufzuhalten. Wenn ich es nicht schaffe, dann ziel auf seine Augen.« Sie machte eine Kopfbewegung zur Pistole, die Lena immer noch mit beiden Händen am Lauf hielt, ohne so recht zu wissen, was sie damit anfangen sollte.
    »Was haben Sie vor?«, fragte Lummer.
    Louise verschwand wortlos im Lift.

39
    Aus dem lichtgrauen Anthrazit vor den Fenstern war ein mattes Grau geworden, das von innen heraus zu leuchten schien; wie wattiger Nebel, der die Sonne verschlungen hatte. Lena war ein paarmal ans Fenster getreten und hatte in den Park und auf den nahen Wald hinuntergesehen. Graue Schwaden griffen zwischen den Bäumen hervor und erhoben sich hier und da gespenstischen Gorgonenhäuptern gleich über die Mauer, stiegen von der Wiese auf und tanzten lautlos über den künstlichen See, als würde sich unter der trügerischen ruhigen Oberfläche in Wahrheit ein schlafender Vulkan verbergen, der jederzeit ausbrechen konnte. Das erste wirkliche Sonnenlicht würde den Nebel auflösen, und Lena sah es auch schon kommen: ein dünner, aber unerträglich greller Streifen, der lautlos vom Osten her näher kam und sich wie Säure in ihre Augen brannte, dass ihr die Tränen kamen.
    »Da stimmt doch was nicht«, murmelte Lummer. Er humpelte seit zehn Minuten unentwegt im Raum auf und ab und hatte selbstverständlich schon sämtliche anderen Zimmer, den Lift und die geschlossene Tür zum Treppenhaus mehrmals aufs Gründlichste inspiziert, und er war schon zweimal oben auf der Dachterrasse gewesen, nur um zum selben Ergebnis zu kommen wie Lena schon am Vorabend: Sie waren eingesperrt. »Sie müsste doch längst zurück sein! Oder wir müssten wenigstens etwas hören!«
    Lena warf ihm einen schrägen Blick zu. Lummer schien selbst
für einen Menschen über ein denkwürdig schlechtes Gehör zu verfügen, denn das Gebäude unter ihnen war alles andere als still. Sie selbst hörte eine ganze Menge, und kaum etwas davon gefiel ihr. Aufgeregte Stimmen und Schritte, Schreie und Türenschlagen, und mindestens einmal glaubte sie auch einen Schuss gehört zu haben, alles gedämpft durch die dicken Wände des antiken Gebäudes, aber dennoch unverkennbar die Geräusche einer ausbrechenden Panik, vielleicht eines Kampfes.
    Vielleicht wollte er es einfach nicht hören. Wie kam sie auf die Idee, dass es ihm anders ergehen sollte als ihr? Selbst sie hatte sich bis zuletzt erfolgreich geweigert, wirklich zu glauben, was sie sah, und erst recht, was mit ihr geschah.
    Lena stellte ihre Grübeleien über die Ungerechtigkeit des Schicksals ein und warf einen abschätzenden Blick auf den Helikopter hinab. Der Pilot hatte die Maschine tollkühn nahe vor dem Gebäude gelandet. Zwischen den Enden der durchhängenden Rotorblätter und dem Haus waren keine zwanzig Meter mehr. Dennoch, und obwohl es draußen immer rascher hell wurde, war der Helikopter kaum deutlicher zu erkennen als zuvor; fast als umgäbe ihn etwas wie ein unsichtbarer Schutzschirm aus Dunkelheit, der einen Teil der Nacht konservierte.
    Abgesehen von dieser unsinnigen Vorstellung war er nahe genug, um ihn selbst im
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