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Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Titel: Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
Autoren: Tanja Langer
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nun macht sie sich bereit, für den neuen Tag, für den letzten Tag in ihrem Leben. Kaltes Wasser ist in der Waschschüssel, recht so, es wird sie munter machen, sie wird ein wenig Farbe in die Wangen bekommen, es macht ihr nichts aus. Sie hat sich abgerieben und getrocknet. Sie hat die Unterbeinkleider angelegt, das feine weiße Hemdchen, die dünnen Strümpfe aus Baumwolle, ihre besten, fast wie neu. Sie hat sie mit den schwarzblauen Strumpfbändern befestigt und noch einmal zärtlich über die Seide gestrichen, aus der sie sie genäht hat. In ihrem neuen Lebenwird sie keinen Trost mehr in solchen Dingen suchen müssen, sie nimmt Abschied, sehr schön, sehr gut, so ist es recht. Sie schlüpft in das Batistkleid und setzt sich an den Tisch vor den Spiegel. Das Mädchen wird ihr mit dem Schnüren helfen, das Haar bürstet sie sich allein, sie will es offen tragen, an ihrem letzten Tag. Wenn sie fertig angekleidet sein wird, wird sie ihre letzten Anweisungen zu Papier bringen. Sie hat lange wach gelegen, bevor sie sich erhoben und nach dem Mädchen geklingelt hat. Sie ist in Gedanken die Worte durchgegangen und die Sätze. Hat sie an alles gedacht? Ist für alles gesorgt?
     
    Heinrich unterdessen hat sich über seinen Tisch gebeugt und kratzt mit der Feder seinen letzten Brief an Marie zu Ende und dann doch noch einen allerletzten an Ulrike. Er setzt an, er schreibt, er murmelt, er knurrt, er knüllt das Papier zusammen, er zerreißt es. Verflucht noch einmal! Wozu?
    Ich sage dir wozu. Und du weißt es.
    Immer dieser Rechtfertigungszwang.
    Lass es doch so sein, wie es ist.
    Ich will –
    Du willst ihnen gerade in die Augen blicken. Wenn ihr euch wiederseht.
    Stille.
    Du hast recht, Jette, wie immer hast du recht.
     
    Eintausenddreihundertzwölf Schritte. Einhundertneunundneunzig Jahre. Zähl sie weiter, Jahr um Jahr.
    Ist das die Ewigkeit?
     
    Die letzten Stunden sind eine Ewigkeit.
    Sie haben sich alles genau überlegt.
    Mittags kommt der Postbote; ihm geben sie die Briefe an Louis und an Ernest Frédéric Peguilhen, in denen die beiden aufgefordert werden, schnell nach Potsdam zu kommen, zum Gasthof Stimming. Der Bote braucht drei bis vier Stunden, das wissen sie, und trotzdem springen sie alle naslang zum Wirt herunter und fragen, wann wird der Bote in Berlin sein? Möchten die Herrschaften noch eine Bouillon? Nein, wir möchten keine Bouillon. Doch, ich möchte doch eine Bouillon. Henriette. Henriette ist so aufgeregt, sie verbrennt sich die Lippen an der heißen Brühe. Der Zeiger rückt vor. Nein, das Mädchen soll die Zimmer nicht machen. Noch einmal hinuntergelaufen, noch einmal hinauf. Heinrich hat sich gewaschen, aber er ist nicht rasiert, er lässt sich doch sonst vom Barbier rasieren, ach herrjeh, schreib doch schnell noch an Peguilhen, ich bitte dich, ich schulde dem Barbier noch einen Thaler, für den laufenden Monat. Ach nein, lass nur, ich schreibe gleich selbst noch ein paar Zeilen an ihn. Heinrich zerrt nervös an seiner Halsbinde. Er hat sich halbwegs ordentlich gekleidet. Genauso wie gestern eigentlich, mit dem braunen Überrock aus Tuch und den langen grauen Hosen. Nur die weiße Weste aus Mousseline hat er sich frisch angetan, als Zeichen für diesen besonderen Tag. Henriette, du siehst so schön aus in deinem blauen Mantel, ich schäme mich ein bisschen neben dir.
    Ich bitte dich, Heinrich! Was tut das schon? Und sie streicht ihm liebevoll über die weichen Stoppeln. Sie küsst ihn.
    Sie geht noch einmal in ihr Zimmer. Sie arrangiert nocheinmal die Sachen ein wenig anders. Sie schlägt das Buch von Klopstock, die Oden, auf der Seite auf, auf dem das Gedicht über
»Die todte Clarissa«
steht. Sie überfliegt es ohne zu lesen. Sie legt es ein wenig schräg auf den Nachtschrank. So ist es gut. Die leeren Flaschen hat sie mit den Tellern und Bechern, Messern und Gabeln in ihre Reisetasche gepackt. Der Korb mit den Pistolen wartet, das Tuch verdeckt sie. Sie geht hinüber in Heinrichs Zimmer. Das Holzkästchen mit dem Schlüssel für den Koffer zu Hause steht auf dem Tisch, daneben auf dem Stuhl lehnt das schwarze Felleisen. Alles ist aufgeräumt. Das Paradies ihrer letzten Nacht. Ihr wird sonderbar, ein wenig flau, ihr wird sentimental. Der Aufschub ist der Dieb der Zeit. Wenn es so wäre. Sie rückt sein Felleisen gerade, das Kästchen mit den Briefen. Einen winzigen Moment möchte sie stehen und die Augen schließen. Die Hitze schießt durch ihren Körper.
     
    Wann wird der Bote in Berlin
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