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Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Titel: Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
Autoren: Tanja Langer
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mystifizierend!!
    Der Groll kommt über mich –
    Aber sag mir eines, Heinrich, warum hast du all diese Dinge angesprochen, bei denen die Damen in Ohnmacht fielen? Warum hast du so über Frauen geschrieben, die über Nacht schwanger wurden, von einem unbekannten Mann? Und von den kleinen Bastarden, unehelichen, heimlichen, Kuckuckskindern, wie das Käthchen, das doch eigentlich die Tochter des Kaisers ist, aber aufwächst bei einem einfachen Mann? Und von Josephe, die ein Kind bekommt, nachdem sie, unverheiratet, nur ein einziges Mal zusammen ist, mit Jeronimo, im Garten hinter dem Kloster?
     
    Ich weiß es nicht, es ist mir eben untergekommen.
    Soso.
    Manchmal habe ich mir so etwas eben vorgestellt. Erzähl mir lieber, Henriette, wie war es mit Pauline?
    Pauline, mein liebes Mädchen. Rousseau hat ihr das Leben geschenkt.
    Rousseau? Du machst Witze!
    Nein, Heinrich, ich sage es dir. So würde ich nie mit dir reden, so redet man mit keinem Mann.
    Ich saß mit meinem dicken Bauch zu Hause. Wieder hatte ich ein Kind begraben, bevor es auch nur die ersten Schrittchen gemacht, geschweige denn die ersten Worte gesprochen. Ich las die »Neue Héloïse« und auch den »Émile«, über die Erziehung. Man redete ja so vieles darüber. Ich las es mit Freuden, aus vielerlei Gründen. Es war mir Trost nach dem Tod des kleinen Ludwig, und der lange Winter brach an. Ich ging kaum hinaus. Ich las, und riesig wurden meine Augen, als ich folgende Zeile fand: Die Natur habe die weiblichen Brüste nicht zur Freude der Männer gemacht, sondern zum Ernähren ihrer Kinder. Ich klappte das Buch vor Schreck zu, als wäre es vergiftet. Schamesröte stieg mir ins Gesicht. Ich sah mich um und konnte es nicht fassen. Ich las wieder und wieder. Niemand sprach über diesen Satz!
    Zehn Monate nach der Geburt des kleinen Ludwig, vier Monate nach seinem Tod, kam mein Mädchen zur Welt, Johanna Ida Pauline. Die Hebamme, die zur Entbindung kam, sah mich an und flüsterte mir ins Ohr: Wenn Sie nicht gleich wieder eins wollen, geben Sie dem Kind die Brust. Es wirkt Wunder, glauben Sie mir. Eskam mir vor wie ein Zeichen. Ich nahm meinen Mut zusammen, und tat es heimlich, ich stillte mein Kind im Geheimen! Ich entzog mich Louis, meinem Mann, so oft es ging. Ich schob ihn sanft zur Seite, wenn er sich nachts auf mich rollte. Ich wollte nicht gleich wieder schwanger sein, ich wollte ein Kind, das lebte!
    Ich zählte die Tage, die Nächte, die Wochen. Pauline wurde vier Monate alt, fünf, sechs. Sie bekam ihre Zähne, sie hatte Schnupfen, ich bangte um sie, es war die gefährlichste Zeit – und sie blieb ohne Fieber. Ich begann zu hoffen, ich trug sie auf Händen. Ich gab mich Louis wieder hin. Ich war dreiundzwanzig.
    Als Pauline zehn Monate alt war, starb meine Mutter, es war wieder Oktober. Ich übergab mich bei der Beerdigung hinter dem Grabstein, und am nächsten Tag auch, und drei Monate lang. Es war mir alles egal, ich sah nur Pauline und hoffte und hielt den Atem an. Als Pauline ihre ersten Schritte machte, konnte ich mich nicht fassen vor Glück.
    Ich war eine andre geworden. Ich hing an diesem Mädchen, du wirst nun verstehen, wie sehr. Und doch hing alles am seidenen Faden.
    Das neue Kind kam, ein Mädchen, wir nannten es Agnes Ottilie Adolphine. Pauline war eineinhalb. Ich gab mir Mühe, erneut, ihr Schwesterchen schaffte es bis Ende November, dann starb sie an schrecklichen Krämpfen. Etwas in mir zerbrach.
    Pauline war zwei, ich vierundzwanzig. Ich hielt sie fest an der Hand. Nachts wusste ich nicht, wie mir helfen. Louis, noch einmal, das schaffe ich nicht. Wir zogen um, in eine schönere Wohnung, es ist die, die du kennst.
    Warum muss ich an all das denken?
    Vielleicht hat es damals angefangen, das Sterben
wol len
, vielleicht ist da ein Rest in mir geblieben, ein Riss, der sich niemals mehr schloss, eine Müdigkeit, von der ich mich nie mehr erholte. Immerzu hatte ich Sehnsucht danach, ich würde getragen,
von rosenroten Fingern
. Tief im Innern wuchs etwas, das ich mir selbst nicht eingestand, nicht daran denken, dann ist es nicht da, doch es wurde immer größer. Nein, gewisse Beobachtungen und Wahrnehmungen konnte ich mit niemandem teilen. Wie traurig und unnütz schien es mir, sie zu haben.
    Ich habe Sehnsucht nach all meinen Kindern. Ich will euch alle wiedersehen.
     
    Es führt kein andrer Wege
    Zu deinem Herzen hin –
     
    Heute Nacht denke ich alle Gedanken. Ich denke die Wahrheit. Ich sage dir, jede Entfernung von dir bringt mir
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