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Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead

Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead

Titel: Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
Autoren: Ian Rankin
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Freitag, 1. Juli 2005

1
    Anstelle eines Schlussgesangs ertönte Musik. The Who, »Love Reign O’er Me«. Rebus erkannte es in dem Moment, als Donnerschläge und prasselnder Regen die Kapelle erfüllten. Er saß in der ersten Bank; Chrissie hatte darauf bestanden. Er hätte lieber weiter hinten gesessen, sein üblicher Platz bei Begräbnissen. Chrissie saß neben ihrem Sohn und ihrer Tochter.
    Einen Arm um sie gelegt, tröstete Lesley ihre Mutter, als der die Tränen kamen. Kenny starrte geradeaus und sparte sich seine Gefühle für später auf. Morgens im Haus hatte Rebus ihn nach seinem Alter gefragt: Er wurde im nächsten Monat dreißig. Lesley war zwei Jahre jünger. Bruder und Schwester sahen ihrer Mutter ähnlich, was Rebus daran erinnerte, dass die Leute dasselbe von Michael und ihm gesagt hatten: Ihr seid eurer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Michael... Mickey, um genau zu sein. Rebus’ jüngerer Bruder, im Alter von vierundfünfzig tot in einer Kiste mit polierten Griffen, Schottlands Sterblichkeitsrate wie die eines Landes der Dritten Welt. Lebensstil, Ernährung, Gene – jede Menge Theorien. Der ausführliche Obduktionsbericht war noch nicht fertig. Massiver Schlaganfall, hatte Chrissie Rebus am Telefon gesagt und ihm versichert, Mickeys Tod sei »ganz plötzlich« gekommen – als würde es dadurch besser.
    Plötzlich bedeutete, dass Rebus sich nicht mehr hatte verabschieden können. Es bedeutete, dass seine letzten Worte an Michael ein Witz über dessen geliebte Raith Rovers gewesen waren, am Telefon, drei Monate zuvor. Ein blau-weißer Raith-Fanschal war neben den Kränzen auf dem Sarg drapiert worden. Kenny trug eine Krawatte, die seinem Vater gehört hatte, mit dem Wappen der Raith Rovers darauf – irgendein Tier, das eine Gürtelschnalle hielt. Rebus hatte nach dessen Bedeutung gefragt, aber Kenny hatte nur die Achseln gezuckt. Als Rebus’ Blick an der Kirchenbank entlangwanderte, sah er, wie der Platzanweiser eine Geste machte. Alles erhob sich. Chrissie ging, von ihren Kindern flankiert, den Mittelgang hinunter. Der Platzanweiser sah zu Rebus hinüber, aber der blieb, wo er war. Setzte sich wieder, damit die anderen wussten, dass sie nicht auf ihn zu warten brauchten. Das Stück war erst gut zur Hälfte vorbei. Es war das letzte auf Quadrophenia. Michael war großer Who-Fan gewesen, während Rebus die Stones lieber mochte. Er musste allerdings zugeben, dass Alben wie Tommy und Quadrophenia etwas gelang, was die Stones nicht schafften. Daltrey schrie gerade, er könne einen Drink gebrauchen. Dem konnte Rebus sich nur anschließen, aber da war noch die Rückfahrt nach Edinburgh.
    Man hatte den Veranstaltungsraum eines örtlichen Hotels gemietet. Alle seien willkommen, hatte der Pfarrer von der Kanzel herunter gesagt. Man würde Whisky und Tee ausschenken und Sandwiches servieren. Es würde Anekdoten und Erinnerungen geben, Lächeln, Augenbetupfen, gedämpfte Geräusche. Die Bedienung würde sich aus Rücksicht auf die Trauergemeinde leise bewegen. Rebus versuchte, sich im Kopf Sätze zurechtzulegen, Worte, die als Entschuldigung dienen sollten.
    Ich muss zurück, Chrissie. Die Arbeit.
    Er könnte lügen und die Schuld auf den G8-Gipfel schieben. Morgens im Haus hatte Lesley gemeint, er sei sicher eifrig mit den Vorbereitungen beschäftigt. Da hätte er ihr sagen können, ich bin anscheinend der einzige Polizist, den sie nicht brauchen. Aus allen Teilen des Landes wurden Polizeibeamte zusammengezogen. Allein aus London kamen fünfzehnhundert. Nur für Detective Inspector John Rebus schien man keine Verwendung zu haben. Jemand muss die Stellung halten – das waren die Worte, die DCI James Macrae benutzt hatte, während sein Assistent hinter ihm süffisant lächelte. DI Derek Starr hielt sich eindeutig für Macraes Thronerben. Eines Tages würde er das Polizeirevier am Gayfield Square leiten. John Rebus, kaum mehr als ein Jahr vor seiner Pensionierung, stellte keine ernsthafte Bedrohung dar. Starr selbst hatte genau das schon einmal formuliert: Niemand würde es Ihnen übelnehmen, wenn Sie es langsam angehen ließen, John. Das würde jeder in Ihrem Alter machen. Vielleicht, aber die Stones waren älter als Rebus; Daltrey und Townshend auch. Und immer noch produktiv, immer noch auf Tour.
    Das Stück ging jetzt zu Ende, und Rebus erhob sich wieder. Er war allein in der Kapelle. Warf einen letzten Blick auf den purpurroten Samtschirm. Vielleicht stand der Sarg noch dahinter; vielleicht war er
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