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Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Titel: Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
Autoren: Tanja Langer
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und sah ihr zärtlich in die Augen. Seine blauen in ihren blauen, ein Himmel, weit und sanft. Nach einer Weile senkte sie die Lider. Sie lehnte den Kopf an seinen Hals, seine Schulter, er umarmte sie. Lange standen sie, und eine große weiche Müdigkeit überspülte sie wie die warme Welle eines sanften Meeres weit fort im Süden.
     
    Die Müdigkeit einer vollendeten Lebensreise.
     
    Dabei waren es nur die kalten schwarzen Wellen der Wannsee, die sie draußen am Ende der Nacht rumoren hörten, unruhig, schon winterlich, grausamer, als man glauben mochte, verschlingender und unberechenbarer, als es bei Tage schien.
     
    Alles, wodurch ich hindurchgegangen bin, ist in meine Zeilen hineingekommen, ich bin durch die Welt hindurchgegangen und sie durch mich. Wenn ich schrieb, war ich, und wenn ich nicht schrieb, war ich nicht. Ich habe nichts gesucht. Alles hat mich gesucht. Ich war der Ort, an dem sich alles entfaltete, in dem sich Stimmen und Ereignisse kreuzten, Gerüche und Handlungen sich mit Gesten und Worten verbanden. Eine Art Passivität, die keine war, eine Hingabe viel mehr an dieses sonderbare, rätselhafte, beglückende Geschehen. Manchmal hat sich etwas in sein Gegenteil verkehrt: die Kälte vom Fort de Joux in die Hitze Griechenlands. Ich war niemals in Griechenland. Ich weiß nicht einmal, wie heiß es dort sein kann. Wer hat es mir gesagt, frage ich dich?
    War dieser Ort, der ich war, still und verschlossen, war ich nichts.
    So wie in diesem Sommer. Wenn ich durch die Straßen von Berlin lief, durch Hitze und Staub, sah mich alles fremd an: der Himmel, die Häuser, die Bäume, fremd und schweigend, und in mir war nichts. Ich hatte keine Freunde mehr, die mich hätten ablenken können. Myriaden von Welten, Myriaden von getrennten Wesen. Und dann las ich die Zeilen irgendwo, dass der Tod der erlösendeSchlaf für den vom Leben Erschöpften ist, nichts anderes, wunderbar und sanft. Und ich dachte, wie ich es schon früher oft gedacht, dass es doch nichts anderes sei als dieses Hinübergehen von einem Zimmer ins andre, von diesem Zimmer hier in das deinige dort, siehst du, es ist ganz leicht, ich gehe zur Tür, ich öffne sie, ich trete über die Schwelle, von meinem Zimmer in deines, siehst du, schon bin ich bei dir   … und wieder und wieder, so wollen wir es üben, komm, Jettchen, gib mir deine Hand, die ganze verbleibende Nacht, von einem Zimmer wollen wir in das andere gehen –
    Allein wollte ich es niemals tun. Vielleicht schreckte ich im letzten Augenblick zurück, verließe mich der Mut. Kennst du die ägyptischen Sarkophage? Die Gräber mittelalterlicher Herrscher? Immer sind sie dort zu zweit. Ein Mann, eine Frau. Niemals sind sie allein. Der Mensch braucht ein Du wie der Fuß einen Schuh.
    Ich habe dich, Henriette,
    –
    und du sollst mich haben, Heinrich,
    so können wir zusammen gehen, von einem Zimmer in ein anderes, so – und so – und so – –
     
    Ich habe mich oft gefragt, was es bedeutet: Liebe oder Verlangen. Wir haben diese beiden Wörter, nicht nur wir. Die Franzosen unterscheiden ebenfalls
l’amour
von
désir
. Als ich Choderlos de Laclos zum ersten Mal las, »Die gefährlichen Liebschaften«, kannte ich dich noch nicht. Alle redeten von diesem Buch, alle kannten sich aus, nur ich war ratlos. Ich hatte mich verliebt und ich hatte geküsst,ich hatte auch lieben wollen und ich glaubte zu begehren. Aber ich wusste gar nichts von dieser physischen wilden Leidenschaft, um die sich dort alles drehte, und die Macht darüber und die Lust an dieser Macht. Ich liebte meinen Vater. Mit Liebe meine ich diese Freude, wenn ich ihn sehe, diese Sehnsucht, wenn ich ihn nicht sehe. Meine Mutter habe ich geliebt, doch es war anders, ich habe sie an ihre Traurigkeit verloren, gehörte sie ihr, durfte ich mich nicht nähern. In meinen Mann glaubte ich verliebt zu sein, doch wenn ich ehrlich bin, war es seine Liebe, die mir schmeichelte, die mich gewann. Ich hatte – ohne sagen zu können weshalb – keine großen Erwartungen. Der nächste Mensch, den ich liebte, war mein Kind.
    Aber Heinrich.
    Mit dir, Heinrich, ist alles anders. Du bist für mich:
L’amour qui est la mort.
Die Liebe, die der Tod ist. Unendliches Verlangen, das sich im Verlangen niemals erschöpfen wird.
    Es gibt nur eine Möglichkeit, dich zu lieben. Manche werden sagen, ich sei überspannt gewesen. Ich hätte immer schon gern vom Tod gesprochen. Es stimmt, dass der Tod mich früh beschäftigt hat. Es war all das Tote in meinem
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