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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben
Autoren: K Hartmann
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einfach so. Die Schichten in Deutschland haben sich mittlerweile so weit voneinander entfernt, dass es kaum noch Berührungspunkte gibt – und kei ne Orte mehr, an denen sich Menschen unterschiedlicher Schichten begegnen und austauschen. Sowieso nicht bei der Arbeit, denn aus der Arbeitswelt sind Langzeitarbeitslose ja ausgeschlossen. Ihr »Arbeitsplatz« ist das Jobcenter – ihre Aufgabe scheint es zu sein, ihr ganzes Leben dem Zugriff des Staa tes zu öffnen, sich Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu stellen, die x-te sinnlose Bewerbung zu schreiben und Repressalien auszuhalten. Man trifft sich kaum im Konsumalltag, denn die neuen Armen sind auf eine parallele Konsumwelt jenseits von kombinierten Buch- und Weinhandlungen, Schnick-Schnack-Boutiquen, Wochenmärkten, Bioläden und Designeinkaufstempeln angewiesen. Viele von ihnen versorgen sich in Sozialkaufhäusern, Kleiderkammern oder bei den Lebensmittelausgaben der Tafel. Man lebt nicht mal mehr im selben Stadtviertel, weil die städtische Politik der Aufwertung dafür sorgt, dass arme Menschen weg aus ihrer gewohnten Umgebung in weniger wertvolle Stadtteile ziehen müssen, an »soziale Brennpunkte«, in die sich niemand sonst verirrt. Spätestens dann, wenn selbst die günstigste Miete der Innenstadtwohnung vom Arbeitsamt nicht mehr übernommen wird, weil sie nicht »angemessen« 8 erscheint. Falls sie überhaupt noch Freunde oder Bekannte haben, werden sie den Umstand, arm geworden zu sein, mit aller Macht verheimlichen: Armut ist heute kein bedauernswerter Zustand der Bedürftigkeit mehr. Damit geht keiner hausieren. Schon gar nicht trifft man sich in Fitnessstudios, im Theater, bei Konzerten, im Kino oder in Bars und Restaurants – die Teilnahme am kulturellen und sozialen Leben ist bei 364 Euro im Monat einfach nicht drin. Viele Menschen, die arm geworden sind, ziehen sich deshalb zurück.
    Wenn man in einer Gesellschaft nicht mehr mithalten kann, weil Anerkennung an Konsum oder zumindest dessen Möglichkeit geknüpft ist, wenn man nicht mehr über neue Bücher oder Filme plaudern, wenn man nichts Unterhaltsames mehr zu geselligen Runden beitragen, ja, eigentlich gar nichts mehr aus seinem Leben erzählen kann, weil es mit jedem Tag eintöniger und sorgenvoller wird, wenn man merkt, dass sich die alten Freunde benehmen, als hätte man eine ansteckende Krankheit, wenn man spürt, dass sie glauben, man sei selbst schuld – dann verliert man schnell den Anschluss. Hartz IV macht nicht nur arm, sondern auch sprachlos. Vor allem, weil ausgerechnet diejenigen, die gehört werden, Meinungsführer wie die Pressesprecherin, die Journalisten, die Lehrerin, ihre Vorurteile laut aussprechen. Dass also ihre Empörung nicht der Tatsache gilt, dass in einem reichen Land Menschen auf Essensspenden angewiesen sind, sondern dem Umstand, dass diese Menschen ein Handy besitzen und im Winter heizen, ist bezeichnend für den Ausschluss der Bedürftigen und den Versuch der Mittelschicht, auf deren Kosten Überlegenheit zu demonstrieren.
    Armut in der Konsumgesellschaft
    Überhaupt, das Handy. Das ist ja nicht einfach nur ein Gebrauchsgegenstand wie ein Kochlöffel. Das Mobiltelefon ist symbolisch aufgeladen: Weil man damit überall und mit jedem kommunizieren, oft filmen und via Internet wahrgenommen werden kann, steht es, Stichwort arabische Revolution, auch für freie Rede, ja, für Meinungsfreiheit und Demokratie. Knapp 90 Prozent der Deutschen benutzen es, 9 im Schnitt besitzt jeder Deutsche 1,3 Handyverträge. Aber nur 20 Prozent finden, dass ein Handy zum Existenzminimum für Hartz-IV-Empfänger gehört. 10 Bedürftigen das Recht auf ein Handy abzuerkennen heißt nichts anderes als: Ihr dürft nicht mehr mitreden. Ihr gehört nicht mehr dazu. Ihr müsst leider draußen bleiben. »Im Informationszeitalter bedeutet Unsichtbarkeit mehr oder weniger den Tod«, sagt die australische Professorin für Literatur, Germaine Greer. 11
    In einer Gesellschaft mit versteckten Hierarchien wird Zugehörigkeit über Statussymbole demonstriert. Ein Handy ist immer noch Symbol der gesellschaftlichen Teilhabe, auch ein Fetisch des Distinktionsgewinns – sonst würden sich die Deutschen nicht alle zwei Jahre ein neues kaufen. 12 Mobiltelefone in riesigen Koffern waren vormals Privileg der Geheimdienste, Politiker und der Polizei, sprich: der Autoritäten. Dann leisteten sich Reiche den Luxus von Autotelefonen, deren Technik den Kofferraum ihrer Sportwagen so ausfüllte, dass kaum mehr die
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